Prinz Charming
sich drei Lehnstühle und zwei kleine Tische.
Schon immer hatte Taylor diesen Raum geliebt, als kleines Mädchen auf den Perserteppichen Purzelbäume geschlagen und genug Lärm gemacht, um - nach Ansicht ihrer Großmutter - Tote zu erwecken. Aber sie durfte sogar Lady Esthers schöne Seidenkleider und Satinschuhe anprobieren, wenn die alte Dame in gnädiger Stimmung war, breitrandige Hüte mit Blumen und Federn aufsetzen, lange weiße Handschuhe anziehen und sich mit kostbarem Schmuck behängen. Prächtig herausgeputzt, servierte sie der Großmutter Tee und erfand ungeheuerliche Geschichten über die Partys, die sie angeblich besucht hatte. Lady Esther spielte bereitwillig mit und schwenkte ihren bemalten Fächer umher. »Nein, also wirklich!« hatte sie gerufen, Entsetzen über die erfundenen gesellschaftlichen Skandale geheuchelt und selber ein paar schockierende Anekdoten beigesteuert.
So viele schöne Erinnerungen verbanden sich mit diesem Zimmer, und Taylor liebte die alte Frau, die es bewohnte, von ganzem Herzen.
»Du hast lange gebraucht, um hierherzukommen, Taylor, und mich warten lassen.« Heiser hallte Lady Esthers Stimme durch den Raum.
»Verzeih mir ...« Auf dem Weg zum Bett stolperte Taylor beinahe über einen Schemel, dann ging sie vorsichtig um das Hindernis herum.
»Hör zu trödeln auf und setz dich! Wir haben viel zu besprechen.«
»Leider finde ich keinen Stuhl, Großmutter...«
»Zünden Sie eine Kerze an, Janet«, befahl Lady Esther ihrer Zofe. »Dieses eine Zugeständnis will ich machen. Und dann lassen Sie mich mit meiner Enkelin allein.«
Endlich ertastete Taylor einen der Lehnstühle. Sie nahm Platz, strich ihren Rock glatt und faltete die Hände im Schoß. In den düsteren Schatten konnte sie ihre Großmutter noch immer nicht sehen. Das Bett stand zu weit entfernt Trotzdem straffte sie die Schultern. Lady Esther haßte es, wenn man nicht Haltung bewahrte, und schien sogar im Dunkeln wie ein Luchs zu sehen. Deshalb wagte ihre Enkelin nicht, sich zu entspannen.
Auf dem Nachttisch flammte eine Kerze auf. Taylor beobachtete, wie die Silhouette der Zofe den Raum durchquerte, und wartete, bis das Türschloß klickte. Dann rief sie: »Warum ist es hier so dunkel, Großmutter? Stört dich das Sonnenlicht?«
»Allerdings. Ich sterbe, Taylor. Das weiß ich ebenso wie Gott und der Teufel. Wenn ich ein Aufhebens darum machte, wäre das undamenhaft. Der Tod muß sich in der Finsternis an mich heranschleichen. Falls ich Glück habe, findet er mich erst, nachdem ich alle meine Geschäfte zu meiner Zufriedenheit erledigt habe. Ich fürchte nur, du bist nicht auf die Aufgabe vorbereitet, die du erfüllen mußt.«
»Das bezweifle ich. Du hast mir eine ausgezeichnete Ausbildung ermöglicht, und so bin ich auf alles vorbereitet.«
Lady Esther schnaufte. »Über die Ehe weißt du nichts. Bedauerlicherweise sah ich mich außerstande, so intime Dinge mit dir zu erörtern. Wir leben in einer sehr sittenstrengen Gesellschaft. Von den Realitäten des Lebens hast du kaum eine Ahnung. Du bist eine hoffnungslose Träumerin und Romantikerin, Taylor. Das beweist du mit deiner Vorliebe für Groschenromane, die von tollkühnen Abenteurern in der Wildnis handeln.«
»Wie mich entsinne, hast du dir diese Geschichten immer gern vorlesen lassen«, erwiderte Taylor lächelnd.
»Mag sein, aber das tut nichts zur Sache. Jedenfalls mußt du deinen Kopf aus den Wolken runterholen.«
»Das will ich tun, Großmutter.«
»Ich hätte mir Zeit nehmen und dir beibringen sollen, wie man einen Mann zu einem guten, liebevollen Ehegatten erzieht.«
»Oh, Onkel Andrew hat mir alles erklärt, was ich wissen muß.«
»Und wieso will mein Bruder über dieses Thema Bescheid wissen?« fragte Lady Esther. »All die Jahre lebte er wie ein Einsiedler im schottischen Hochland. Um diese Dinge zu erkennen, muß man verheiratet sein, Taylor. Nimm nicht ernst, was er dir erzählt hat! Sicher ist es falsch.«
»Aber er gab mir sehr kluge Ratschläge. Warum hat er nie geheiratet, Großmutter?«
»Wahrscheinlich wollte ihn keine haben. Mein Bruder interessierte sich immer nur für seine Pferde.«
»Und seine Waffen. Er arbeitet immer noch an den Patenten.«
»Was hat er dir denn über die Ehe erzählt?«
»Nun, er betonte, wenn ich einen mutwilligen Schlingel in einen guten Ehemann verwandeln wolle, müsse ich ihn wie ein Pferd dressieren und sehr streng behandeln. Ich dürfe niemals Angst und meine Zuneigung nur selten zeigen. Wenn
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