Prinz Charming
Existenz der beiden vergessen. Wir informierten ihn nicht über Georges Tod, und da meine Großmutter den Zwillingen kein Geld hinterließ, wird Malcolm vielleicht keinen Ärger machen. Aber ich darf nichts riskieren und muß mit den Babys untertauchen. Ich trage die Verantwortung für die beiden, bis sie alt genug sind, um für sich selber zu sorgen. In all den Jahren hat Marian mich beschützt. Nun bin ich verpflichtet, ihre Töchter zu schützen.«
»Das wird schwierig sein«, meinte Victoria. »Die Welt ist so klein geworden. Man kann telegrafieren, und ein Dampfschiff braucht nur zwei Wochen, um von London nach Amerika zu fahren. Zwischen fast allen Städten verkehren Züge...«
»Das alles habe ich schon bedacht. Zunächst wollte ich mit den Mädchen in eine abgeschiedene Kleinstadt ziehen, aber dann besann ich mich anders. Es gibt einen Ort, wo Malcolm uns niemals suchen wird - den Wilden Westen. Lucas erzählte mir von einer winzigen Stadt namens Redemption. Diese Gegend ist kaum besiedelt, und die Kinder wären dort in Sicherheit.«
»Glaubst du wirklich, dein Onkel wird nach dir suchen?«
»O ja. Er ist bösartig und rachsüchtig. Über sein linkes Auge ziehen sich zwei gekreuzte Narben. Beinahe hätte er seine Sehkraft verloren, als ich ihn mit einem Messer angriff. Damals war ich zehn Jahre alt. Und ich bedaure, daß er nicht erblindet ist. Jedesmal, wenn er in den Spiegel schaut, erinnert er sich, was ich ihm angetan habe - und warum. Sicher zählte er die Tage, bis er sein Erbe übernehmen würde - und mich.«
Victoria erschauerte. Nun begann sie zu erraten, was ihre Freundin verschwieg, und um sich zu vergewissern, beschloß sie, die Wahrheit auf taktvollen Umwegen zu ergründen. »Wäre Marian nicht davongelaufen, wenn sie zwei Jungs bekommen hätte?«
»Gewiß nicht.«
»Ist Malcolm eitel?«
»Ja.«
»Und sehen diese Narben so häßlich aus, wie ich hoffe?«
»Sehr häßlich.«
Da seufzte Victoria zufrieden. »Sehr gut.«
Taylor nickte und entschied, daß sie schon genug gesagt hatte. Obwohl ihre Freundin schwanger war, wirkte sie immer noch unschuldig, würde die perversen Gelüste mancher Männer nicht verstehen und wäre entsetzt, wenn sie die ganze Wahrheit erführe. »Seltsam, Victoria ... Jahrelang träumte ich von einem Leben in der Wildnis. Onkel Andrew bestärkte mich darin. Jedesmal, wenn ich ihn besuchte, las er mir Geschichten aus dem Wilden Westen vor. Er glaubte, eines Tages würde sich mein Traum verwirklichen, und versuchte, mich darauf vorzubereiten.«
»Deshalb hat er dich in einer Lehmhütte einquartiert?« Lächelnd nickte Taylor. »Seine Dienstboten hielten mich für genauso verrückt wie ihn selber. Aber das war uns egal.« »In deinem Herzen wußtest du wohl schon immer, daß du eines Tages in der amerikanischen Wildnis leben würdest. Und wegen der Zwillinge möchtest du möglichst weit nach Westen ziehen, ins entlegene Hinterland.«
»Nach diesen Bergen sehne ich mich, seit ich die Abenteuergeschichten über Boone und Crockett gelesen habe.« »Oh, ich würde dir so gern helfen. Was sagt Mr. Ross zu alldem?«
»Er weiß nichts von Malcolm und den Babys, und du darfst ihm auch nichts verraten.«
»Um Himmels willen, Taylor! Überleg doch mal! Glaubst du, er wird’s nicht merken, wenn du in Redemption lebst?« »Natürlich wird er’s merken«, erwiderte Taylor lachend, »aber dann ist es zu spät. Wenn er schon jetzt von meinen Plänen erfährt, wird er versuchen, mich zurückzuhalten. Er bildet sich ein, ich könnte im Wilden Westen nicht überleben und sollte mich lieber um die Kleider kümmern, die ich auf Bostoner Partys tragen werde. Ist das nicht albern?«
Auch Victoria mußte lachen. Inzwischen kannte sie die, Freundin gut genug und wußte, daß Taylor ihre Zeit niemals mit eitlem Tand vergeuden würde. »Ich tauche sehr gern mit dir unter. Da ich jung und robust und einiger-maßen intelligent bin, finde ich mich in der Wildnis sicher zurecht.«
»Und dein Baby? Hast du schon überlegt, wie du dich fühlen wirst, wenn du in einer primitiven Hütte niederkommen mußt?«
»Andere Frauen haben das auch geschafft.«
»Vielleicht solltest du mir erst nach der Geburt folgen. Für dein Kind wäre das besser.«
»Du bist also einverstanden? Ich soll früher oder später nach Redemption ziehen?«
»Weißt du, worauf du dich einläßt?«
»O ja.«
Taylor seufzte, dann nickte sie. »Darauf müssen wir trinken.« Sie hob ihre Teetasse, und sie stießen
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