Prinz Charming
öffnete, fragte sie, ob Taylor krank sei oder die Verabredung zum Frühstück vergessen habe. »Um acht wollten wir uns im Speisesaal für Damen treffen.«
Ohne Lady Esthers Tod zu erwähnen, rüttelte er seine Frau wach, dann begleitetet er Victoria zum Frühstück hinunter. Er war nicht hungrig. Deshalb aß er nur eine einzige Portion Würstchen, Fisch, Brötchen, Bratäpfel mit Zimt, pochierte Eier und Kartoffeln.
Victoria begnügte sich mit trockenem Gebäck und frisch gepreßtem Apfelsaft. An diesem Morgen war sie sehr nervös. Immer wieder schaute sie sich unbehaglich um, und er vermutete, die anderen Gäste würden sie verlegen machen. Um sie abzulenken, erkundigte er sich nach ihrer Familie. Das war ein Fehler, wie ihre tränenfeuchten Augen verrieten. Als er das Thema ihrer Zukunft in Boston anschnitt, schien ihr Kummer noch zu wachsen.
Am anderen Ende des Speisesaals brach jemand in gellendes Gelächter aus. Victoria zuckte zusammen, runzelte die Stirn und warf einen raschen Blick über ihre Schulter. »Stimmt was nicht?« fragte Lucas.
Ehe sie antworten konnte, erschien Taylor. Sofort sprang er auf und rückte ihr einen Stuhl zurecht. Ohne ihn anzuschauen, dankte sie ihm und setzte sich. Obwohl sie den Kopf senkte, sah er ihre geröteten Wangen und vermutete, die Erinnerung an die Intimitäten in der vergangenen Nacht wären ihr peinlich. Sie war ganz in Schwarz gekleidet. Nach seiner Meinung stand ihr diese Farbe nicht, und es mißfiel ihm, daß sie den Wunsch ihrer Großmutter mißachtete. Ihr Haar war zu einem Nackenknoten hochgesteckt, und durch diese strenge Frisur wirkte ihr Gesicht noch makelloser. Welch eine atemberaubende Schönheit... Unwillkürlich ließ er seinen Blick durch den Saal wandern, um festzustellen, ob sie von irgendwelchen Männern angestarrt wurde. Verdammt, sie gehörte ihm, und er würde niemandem erlauben, sie zu begaffen.
Sofort erkannte er, wie lächerlich er sich benahm, und begann Befehle zu erteilen. »Iß, Taylor! Victoria, sagen Sie mir, was Sie bedrückt!«
Seine Gemahlin erklärte, sie sei nicht hungrig, und trank nur ein Glas Milch. Dann faltete sie ihre Serviette zusammen. Sie schaute ihn noch immer nicht an.
Über beide Frauen verärgert, beschloß er, sich zunächst mit Taylor zu befassen, griff nach ihrer Hand und bat sie, ihn anzusehen. Geduldig wartete er, bis sie seinen Wunsch erfüllte, und bemerkte leise: »Du brauchst dich nicht verlegen zu fühlen. Letzte Nacht ist nicht viel passiert.« Er wollte noch hinzufügen, ein paar Küsse zwischen Eheleuten seien nun wirklich nicht unschicklich, aber dazu kam er nicht.
Ungläubig schaute sie ihn an. »Ich habe vor dir geweint, und deshalb schäme ich mich natürlich. Das wird nie wieder passieren. Normalerweise bin ich nicht so undiszipliniert.«
Diesem Unsinn hätte er gern widersprochen, doch dann besann er sich anders, denn er merkte, daß Victoria interessiert zuhörte. »Haben Sie Ihre Frau zum Weinen gebracht?« fragte sie vorwurfsvoll.
»Nein, sie hat sich über was anderes aufgeregt«, entgegnete er seufzend, denn er wollte es Taylor überlassen, vom Tod ihrer Großmutter zu berichten.
Taylor versuchte, das Thema zu wechseln. »Hast du schon gefrühstückt, Victoria?«
Doch ihre Freundin beachtete sie nicht und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf Lucas. »Würden Sie Ihre Frau besser kennen, wüßten Sie, daß sie niemals weint, Mr. Ross.«
»Tatsächlich?«
»Und sie frühstückt auch nie.« Victorias Stimme zitterte vor Nervosität. »Sie nimmt immer nur ein Glas Milch zu sich. Das wußten Sie auch nicht, was?«
Daß sie sich so eifrig für ihre Freundin einsetzte, amüsierte ihn, und er unterdrückte ein Lächeln. Offenbar wußte sie viel mehr über Taylor als er.
»Eine Zeitlang wohnte sie in einer Lehmhütte ...«
Hastig fiel Taylor ihr ins Wort, denn vorerst sollte Lucas nichts von dem Überlebenstraining erfahren, dem Onkel Andrew sie unterzogen hatte, um sie auf den Wilden Westen vorzubereiten. »Die Banker!« platzte sie heraus. »Um zehn Uhr treffen wir Mr. Sherman und Mr. Summers. Ihre Büros liegen nur einige Häuserblocks entfernt. Wollen wir zu Fuß gehen, Lucas?«
Aber er starrte Victoria an. »Wo hat sie gewohnt?«
Ihre Wangen röteten sich. »Ach, das ist nicht so wichtig. Taylor, wenn du ein paar Minuten Zeit hättest... Ich möchte etwas mit dir besprechen.«
»Ja, natürlich.«
»Ich glaube, ich kann nicht in Boston leben.« Unglücklich senkte Victoria den
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