Prinz Charming
die Manteltasche. Als sie nach dem Kästchen griff, ging es auf, und Patronen flogen in alle Richtungen. Taylor kniete nieder, sammelte mehrere ein und verstaute sie in der anderen Tasche. Die restlichen blieben auf dem Teppich liegen.
Unterdessen lehnte Lucas an der Ecke des Alkovens und beobachtete seine Frau. Was sie vor sich hin murmelte, verstand er nicht. Irgendwas von Ungeziefer... »Taylor, was ist eigentlich los?«
»Zieh deine Schuhe an!« befahl sie noch einmal. »Du mußt dich beeilen!«
Ehe sie eine Erklärung abgab, würde er sie nirgendwohin begleiten. Offenbar war sie außer sich vor Angst. Er mußte sie beschwichtigen und herausfinden, was sie in solche Panik versetzt hatte. Falls ihr jemand zu nahe getreten war, würde Lucas seine Waffen nicht brauchen. Mit bloßen Händen würde er den Hurensohn erwürgen.
Er ging zu ihr, wollte sie in die Arme nehmen und eine Antwort verlangen. Aber Taylor wich ihm aus, lief zum Fußende des Betts, ergriff sein Jackett und warf es ihm zu. »Großer Gott, steh nicht untätig herum! Hol deine Waffen! Du wirst zwei brauchen. Dir wird er sicher sagen, wo er sie versteckt hat. Dazu mußt du ihn zwingen. Wir dürfen ihn nicht entwischen lassen. Sonst werde ich sie niemals finden.«
Ihre Worte stolperten geradezu übereinander. Nie zuvor hatte er sie in einem solchen Zustand gesehen. War sie wahnsinnig geworden? Ihre Augen spiegelten nacktes Entsetzen wider. Schluchzend zerrte sie am Arm ihres Mannes, dann fiel sie auf die Knie und versuchte, ihm seine Schuhe anzuziehen.
»Beruhige dich doch, Taylor!« bat er in sanftem Ton. »Wen wirst du nicht finden?«
»Meine Babys!« schrie sie. »Er hat meine Babys versteckt! Lucas, ich flehe dich an, hilf mir! Ich tue alles, was du willst, wenn du mir nur hilfst!«
»Hör mir zu!« erwiderte er, half ihr auf die Beine und umarmte sie. »Natürlich helfe ich dir. Aber du mußt erst einmal zur Besinnung kommen. Was für dummes Zeug redest du da? Du hast gar keine Kinder.«
»Doch! Zwei Babys! Und er hat sie mir weggenommen. Meine Schwester... Sie ist tot, und ich... Bitte, vertrau mir! Unterwegs erzähle ich dir alles. Ich weiß, er wird fliehen! Aber er darf nicht entkommen!«
Angesichts ihrer Verzweiflung vergeudete er keine Zeit mehr mit einem weiteren Versuch, ihr ein vernünftiges Wort zu entlocken. Er holte seine Pistolen, vergewisserte sich, daß sie geladen waren, und schlang den Waffengurt um seine Taille. Das Jackett würde sie nicht verdecken. Deshalb eilte er zu seinem Schrank und schlüpfte in einen langen schwarzen Regenmantel. Taylor brachte ihm die Schuhe, und er zog sie rasch an.
Dann nahm er seine Frau bei einer Hand, führte sie aus dem Zimmer und zur Treppe. »Und jetzt erklär mir endlich, was los ist!« Seine Stimme klang genauso bedrohlich, wie er aussah. In dem schwarzen Mantel, dessen hochgeklappter Kragen die untere Gesichtshälfte verbarg, glich er tatsächlich einem Revolverhelden.
Bei seinem Anblick schöpfte Taylor neue Hoffnung, und der eisige Ausdruck in seinen Augen tröstete sie - weil er auf ihrer Seite stand. Jetzt brauchte sie einen kaltblütigen, skrupellosen Gefährten. Ob es ihm gefiel oder nicht, er war ihr Racheengel geworden.
»Bitte, geh schneller!« beschwor sie ihn. Um mit ihm
Schritt zu halten, mußte sie ohnehin schon laufen, aber in ihrer Aufregung wußte sie nicht, was sie sagte.
Schweigend zog er sie durch die Halle und zur Straße hinaus. Sie nannte einem der Droschkenkutscher, die vor dem Eingang warteten, eine Adresse, und der Mann schüttelte nervös den Kopf. »Fort Hill? In diesen Stadtteil fahre ich nicht, das ist zu gefährlich.«
Sie versprach ihm den dreifachen Fahrpreis, ohne Erfolg. Schließlich lenkte Lucas die Aufmerksamkeit des Kutschers auf sich. »Entweder fahren Sie, oder ich fahre selber. So oder so, in drei Sekunden brechen wir auf. Steig ein, Taylor!«
Sofort erkannte der Mann seine prekäre Lage. »Also gut, ich - ich bringe Sie hin«, stotterte er. »Aber wenn wir dort sind, warte ich nicht auf Sie!«
Lucas verschwendete keine Zeit mit weiteren Diskussionen, kletterte in den Wagen und setzte sich seiner Frau gegenüber. Sein Blick fiel auf die Waffe, die sie im Schoß hielt, einen fleckenlosen, offenbar funkelnagelneuen Colt, den sie vermutlich erst neu gekauft hatte. Geschickt klappte sie die Trommel zur Seite und begann die Kammern zu laden. Dann schloß sie das Schießeisen wieder und legte ihre gefalteten Hände darauf.
Verdutzt hatte
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