Prinz Charming
ein Schuljunge. Geradezu erniedrigend!
»Ja, das ist tatsächlich eine Außenseiterin«, stimmte Hampton zu. »Beobachtet doch mal den Marquis! Er steht direkt gegenüber auf der anderen Seite des Ballsaals, und sogar aus dieser Entfernung sehe ich seinen lüsternen Blick, der übrigens auch seiner neuen Ehefrau nicht entgeht. Wie wütend sie ihn anstarrt! Ist das nicht wundervoll? Endlich erhält dieser üble Bursche seine gerechte Strafe. O Gott, tut mir leid, Lucas - so despektierlich dürfte ich nicht über Ihren Halbbruder sprechen.«
»Ich betrachte ihn nicht als meinen Verwandten«, erwiderte Lucas kühl. »Schon vor Jahren hat er sich von meinen Halbbrüdern und mir losgesagt. Übrigens muß ich Ihnen beipflichten, Hampton. Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan, in höherem Maße, als Sie ahnen.«
Interessiert wandte sich Hampton zu ihm. »Sie machen mich schrecklich neugierig, Lucas. Wissen Sie etwas, das uns entgangen ist?«
»Wahrscheinlich hat er alles über die bewußte Demütigung gehört«, meinte Morris. Er wartete nicht ab, bis Lucas das bestätigen oder bestreiten würde, sondern schilderte den Fall in allen Einzelheiten. »Diese schöne Vision in Blau, die so zauberhaft lächelt, war mit Ihrem Halbbruder verlobt. Nach allen Regeln der Kunst hatte er sie umworben, und sie - so jung und unschuldig - fand ihn gewiß attraktiv. Zwei Wochen vor dem Hochzeitstermin brannte William mit Jane durch, der Kusine seiner Braut. Über fünfhundert Leute waren zum Fest eingeladen worden, und plötzlich mußte alles abgesagt werden. Es war der Skandal dieser Saison.«
»Seht doch, wie Jane sich jetzt an William klammert!« tuschelte Hampton. »Oh, das ist einfach göttlich! Und William versucht nicht einmal, seine sinnlichen Gedanken zu verbergen. Ein Wunder, daß ihm nicht der Geifer aus den Mundwinkeln tropft! Neben der Schönheit, die er aufgegeben hat, ist Jane ein bleicher Schatten, nicht wahr?«
Das amüsierte Lucas keineswegs. »Er ist ein Narr.«
Zustimmend nickte Hampton. »Wie ich William Merritt verabscheue! Dieser Gauner und Intrigant hinterging meinen Vater, dann prahlte er in aller Öffentlichkeit mit seiner Raffinesse. Mein Vater war zutiefst beschämt.«
»Du weißt ja, was William seinen eigenen Brüdern antat«, bemerkte Morris.
»Allerdings! Beinahe hätte er Jordans und Douglas’ Leben zerstört.«
»Ja, und das wird ihm jetzt heimgezahlt. Für den Rest seines Lebens muß er sich elend fühlen. Jane ist genauso niederträchtig wie er - ein beängstigendes Paar, was? Angeblich erwartet sie ein Kind. Dieses Baby tut mir jetzt schon leid.«
»Sie könnte tatsächlich schwanger sein«, meinte Hampton. »Nicht einmal während seiner Verlobung mit Lady Taylor hat William einen Hehl aus seiner Beziehung zu Jane gemacht. Auch für sie wird das ein böses Erwachen geben. Sie hält William für einen reichen Erben.«
»Ist er das nicht?« fragte Lucas.
Hampton schüttelte den Kopf. »Bettelarm! Bald werden es alle Spatzen von den Dächern pfeifen. Bei seinen Fehlspekulationen verlor dieser Narr alles, was er besaß. Seine Ländereien gehören jetzt den Bankiers. Wahrscheinlich rechnet er nach dem Tod der alten Lady Stapleton mit Janes
Erbe. Die arme Esther war sterbenskrank, aber soviel ich weiß, hat sie sich wieder einmal auf wunderbare Weise erholt.«
Die Musik begann wieder zu spielen, und die Menge sah sich gezwungen, Taylor nicht länger zu begaffen. Sie hob den Rocksaum an und stieg die Stufen herab. Unfähig, seinen Blick von ihr loszureißen, trat Lucas einen Schritt vor, dann hielt er inne, um wieder auf seine Uhr zu schauen. Noch knapp zehn Minuten. So lange mußte er noch durchhalten, dann würde er alles ausgestanden haben. Zufrieden seufzte er auf und lächelte.
Auch Lady Taylor lächelte. Buchstabengetreu befolgte sie die Anordnungen ihrer Großmutter. Seit sie die Schwelle des Ballsaals überschritten hatte, trug sie dieses Lächeln zur Schau. Und nichts, was irgend jemand sagen oder tun mochte, würde sie veranlassen, die Stirn zu runzeln. Obwohl ihr das Herz unendlich weh tat, wollte sie den Anschein erwecken, sich bestens zu amüsieren. Sie mußte in die Zukunft schauen, denn die beiden Babys brauchten sie.
Mehrere junge Männer eilten ihr entgegen, aber Taylor ignorierte sie. Sie schaute sich nach dem Mann um, den sie hier treffen sollte, entdeckte ihre Kusine und William, gönnte ihnen aber nur einen kurzen Blick.
Mühsam schluckte sie. Wenn die beiden nun zu ihr
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