Prinz Rajin - Der Verdammte
Augen zu sehen, doch Ganjon hatte während seiner Jahre im Dienst des Fürsten vom Südfluss gelernt, die anderen Ninjas anhand kleinster Merkmale zu erkennen. Bei Andong war das insbesondere eine Narbe oberhalb der linken Augenbraue.
„Und diese Schmuggler, denen selbst während eines Krieges ihr Profit wichtiger ist als ihr Land?“, fragte Ganjon. „Sie bringen weiterhin ihre Waren über die Grenze. Ich habe gehört, dass viele von ihnen weit in das beinahe menschenleere Gebiet zwischen Seng und Pa fliegen und ihre Schmuggelware erst in der Nähe von Para von Hehlern auf Lastdrachen umgeladen wird.“
„Weswegen der Markt von Para angeblich die günstigsten Preise im ganzen Reich hat“, gab Andong zurück. Billig wie in Para war ein geflügeltes Wort in Drachenia. Da die Stadt am ostmeerländischen Ufer des Pa-Flusses ihre herausragende Stellung im Handel vor allem dem Grenzschmuggel verdankte, dachte man dort auch nicht im Traum daran, den Schmuggel ernsthaft zu bekämpfen.
„Die Schmuggler müssen das Geheimnis der Gewichtslosigkeit doch auch kennen, sonst würden ihre Schiffe nicht fliegen!“, sagte Ganjon. „Es müsste doch möglich sein, ihnen dieses Geheimnis abzukaufen.“
„Sie wissen vielleicht, wie so ein Schiff zu fliegen ist, aber mehr auch nicht“, war Andong überzeugt. „Sie wären nicht in der Lage, selbst so eine Maschine zu bauen oder auch nur dafür zu sorgen, dass sie dauerhaft flugfähig bleibt. Außerdem ist in Drachenia niemand wirklich am Geheimnis der Gewichtslosigkeit interessiert.“
„Also ich würde keinesfalls weghören, wenn jemand es in meiner Gegenwart erwähnte oder ich auf andere Weise darauf stoßen sollte“, erklärte Ganjon. „Die Langschiffe meiner seemannischen Heimat könnte ich mir jedenfalls auch sehr gut in der Luft schwebend vorstellen.“
Unter Andongs Gesichtsmaske drang ein dumpfes Gelächter hervor. „Mag sein, dass im Seereich andere Gesetze gelten und man sich dort ein solches Wunder sofort aneignen würde. Aber Drachenia wird nicht umsonst das Drachenland genannt. Wenn es wirklich irgendeinem Drachenier gelingen sollte, das Geheimnis der Gewichtslosigkeit in seinen Besitz zu bekommen, wird ihn der versammelte Adel der Drachenreiter-Samurai sicherlich ebenso bekämpfen wie die Gilde der Lastdrachenreiter. Niemand kann in Drachenias ohne Drachen zu Reichtum und Macht gelangen – und diejenigen, die damit bereits gesegnet sind, wissen sehr genau, dass sie diese Macht verlören, sobald niemand mehr auf ihre Drachen angewiesen wäre.“
Die Schmugglerschiffe zogen an ihnen auf Sichtweite vorbei. Manche von ihnen waren so überladen, dass die Stauräume nicht mehr ausreichten, und so hatte man große Bündel außen an die zylindrischen Schiffskörper geschnürt, die mit allerlei Waren voll gestopft waren. Wahrscheinlich Stoffballen aus den edlen Tuchmanufakturen in der jenseits der Großen Nadel an den Ufern des Vulkansees gelegenen Stadt Kajar, die auch das Zentrum der gesamten tajimäischen Provinz Kajarstan bildete. Ein Zentrum, das Rajin und die Seinen über den unwegsamen Weg nordwestlich der großen Nadel umfliegen mussten.
„Sie müssen uns gesehen haben!“, zischte Kanrhee, der Rennvogelreiter; er verbarg sich ganz in der Nähe von Ganjon und Andong hinter einem eiförmigen Felsbrocken, dem Wind und Regen im Laufe eines Äons seine glatte Form gegeben hatten, so als wäre er von einem der viel gerühmten Grabsteinmetze aus Ezkor oder Nangkor bearbeitet worden.
Andong richtete seinen Blick in Kanrhees Richtung. „Du kannst dennoch sicher sein, dass sie uns nicht verraten werden. Das würde schließlich ihren eigenen Interessen schaden.“
Der Blutmond stieg im Dämmerlicht auf, und nachdem auch Meermond und Jademond am Himmel standen, gab Rajin den Befehl zum Aufbruch. Für die Drachen war die Rast lange genug gewesen, um sich etwas auszuruhen, und während der Nacht würden der Prinz und sein Gefolge ihren Weg leichter fortsetzen können, ohne entdeckt zu werden.
Im Nordwesten umrundeten sie die Große Nadel, die im Licht der Monde je nach Blickrichtung entweder in verschiedenen Farben funkelte wie ein riesiges Leuchtzeichen, das in den Himmel deutete, oder aber einem großen schwarzen Schatten glich. Schließlich erreichten sie den Quellsee des Flusses Pa, der weiter nordwestlich die Grenze nach Drachenia überschritt und bis zu seiner Mündung in den östlichen Ozean die nordwestliche Grenze des Ostmeerlandes bildete. Der
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