Prinzentod
Kai. Mama hat wirklich Pech.«
Bernadette hat mein Rad in Rekordzeit in Ordnung gebracht. Nachdem sie fertig ist, umarme ich sie dankbar, so gut hätte ich das selbst nie hinbekommen. Zusammen gehen wir nach oben, aber im zweiten Stock bleibt sie vor der Wohnung ihrer Mutter stehen. »Heute Nacht möchte ich mich wieder um sie kümmern«, erklärt sie entschuldigend. Ich nicke verständnisvoll und komme mir mal wieder ziemlich gemein vor. Denn während ich ihr die Werkzeuge gereicht habe, ist mir eine Idee gekommen. Ich werde mir im Internet anschauen, was für eine Art von »Pech« Brigitte mit ihrem ersten Mann gehabt hat. Und nur, wenn ich dabei irgendetwas Konkretes finde, etwas, das mehr Hand und Fuß hat als die Drohungen gegen mich, dann werde ich doch noch zur Polizei gehen. Wir verabschieden uns und ich laufe hoch in unsere Wohnung. Während der Laptop hochfährt, überlege ich, wie ich am besten vorgehe. Von Bernadette weiß ich, wann dieser Unfall geschehen ist, sie hat mir mal erzählt, dass sie vier Jahre alt war, als ihr Vater gestorben ist. Das hieße, dass Violetta sechs Jahre und Nico drei Jahre alt war. Erst acht Jahre später hat Brigitte Kai geheiratet, das ist jetzt vier Jahre her. Ziemlich schnell habe ich im Internet herausgefunden, dass Paul Keilmann einen Unfall auf der Autobahn nördlich von München hatte. Weil ich bei Google nichts weiter finde, gehe ich in das Zeitungsarchiv der AZ. Das ist zwar teuer, aber ich muss einfach wissen, was hier gespielt wird. Die Artikel und Bilder sind chronologisch geordnet. Paul war anscheinend ein ziemlicher Unsympath, Waffennarr und ausgezeichneter Schütze. Er war zwanzig Jahre älter als Brigitte, die er blutjung geheiratet hat. Die Hochzeit mit reich lich Böllern und Salutschüssen von seinen Jagdfreunden wurde auf der Fraueninsel im Chiemsee gefeiert und alle waren da, jede Menge Prominenz, Leute, die auch heute noch in den Schlagzeilen auftauchen. Dann finde ich eine Reihe Fotos von wilden Partys mit unglaublich schrillen Kostümen. Damals scheint Brigitte sich noch nicht für die Umwelt interessiert zu haben. Im Gegenteil, es kommt mir so vor, als hätten sie und ihr Mann jede Menge Spaß gehabt. Und Geld ausgegeben, ihr Geld, denn Paul war nur ein Freund ihres Vaters, ein Anwalt ohne eigenes Vermögen, zumindest, wenn man der AZ glauben darf. Ich lese weiter und nun schleicht sich plötzlich ein merkwürdiger Ton in die Berichterstattung. Immer öfter steht Paul im Mittelpunkt der Artikel, es ist von Alkoholexzessen die Rede und von anderen Frauen. Brigitte tritt mehr und mehr in den Hintergrund. Außer bei der Einweihung eines Kinderheims in Freimann ist im ganzen Jahr kein Foto von ihr zu sehen. Ich schaue über meine Schulter zur Tür, weil ich mir eingebildet habe, ein Geräusch zu hören, aber da ist niemand. Draußen ist es dunkel geworden, dabei ist es erst neun Uhr abends. Ich stehe auf und gehe zum Fenster. Grauschwarze Wolken schieben sich von Süden her über der Theresienwiese zusammen. Vielleicht gibt es ein Gewitter, ich sehne mich nach Abkühlung, nach einem befreienden Unwetter, das die Luft reinigt und einen wieder durchatmen lässt. Noch einmal gebe ich Brigittes Namen ein und entdecke ein verschwommenes Paparazzi-Foto mit der Überschrift »Teures Weihnachtsgeschenk: Scheidung?«. Es zeigt die hochschwangere Brigitte, wie sie aus einer Anwaltskanzlei kommt, sie hält sich die Handtasche vors Gesicht. Ich schaue aufs Datum, das Bild ist achtzehn Jahre alt, sie muss damals mit Bernadette schwanger gewesen sein. Brigitte sieht mitleiderregend aus, wie sie mit der winzigen Handtasche versucht, sich vor den Fotografen zu verstecken. Außer der Bildunterschrift ist dem Foto kein Text zugeordnet, aber auf Scheidung kann es damals nicht hinausgelaufen sein, denn die Ehe wurde erst drei Jahre später durch den Tod von Paul beendet. Ich scrolle weiter nach unten. Ein Jahr lang wird überhaupt nichts über das Ehepaar Keilmann berichtet. Erst als Bernadette und Nico gemeinsam in der Frauenkirche getauft werden, gibt es wieder ein Foto. Brigitte wirkt erschöpft, was bei zwei so kleinen Kindern nicht weiter verwunderlich ist, aber auch ihr Mann hat Schatten unter den Augen. Nur Violetta sieht bezaubernd aus in ihrem weißen Kleidchen. Ich überspringe die Jahre bis zum Unfall und überfliege hastig die Details. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, wahrscheinlich Tod durch Alkohol am Steuer. Doch dass ein Geisterfahrer den Unfall
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