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Prinzentod

Prinzentod

Titel: Prinzentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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das über seinen Vater alles arrangieren lassen.« »Seid ihr deshalb ein Jahr in Florida geblieben?« Sie nickt. »Zum Glück war Nico anfangs etwas schwächlich, sodass man gerade noch glauben konnte, Bernadette und er wären nur zehn Monate auseinander.« Ich kann das gar nicht richtig begreifen. Wie wäre das, wenn ich jetzt erfahren würde, dass mein Vater nicht wirklich mein Vater wäre? Dass ich nicht am fünfzehnten August, sondern am sechsten Dezember Geburtstag hätte? Wäre ich dann immer noch ich? Nico tut mir entsetzlich leid. Wie können Eltern das ihrem Kind antun? Und Brigitte... »Wie war das dann mit diesem fremden Baby?«, höre ich mich flüstern. »Konntest du es... konntest du es überhaupt lieben?« Brigitte wendet sich mir zu, aber sie verbirgt ihr Gesicht in ihren Händen. Ich kann sie kaum hören, erst als sie es wiederholt, verstehe ich es: »Ich konnte es nicht. Nie.« Sie weint nicht. Endlich richtet sie sich wieder auf. »Ich wollte es, weil ich Paul sehr geliebt habe, um seinetwillen habe ich es versucht. Aber Bernadette war auch noch so klein und süß. Nico war kränklich, er hat immerzu gebrüllt, es war schwierig mit ihm. Trotzdem habe ich nicht aufgegeben, es weiterzuversuchen. Bis alles aus dem Ruder gelaufen ist.« Brigittes Stimme wird jetzt entschiedener. »Nach einem Jahr wollte Judith plötzlich ihren Sohn wiederhaben. Sie hat uns Anwälte auf den Hals gehetzt, hat behauptet, die Adoption in Florida wäre nicht rechtens gewesen. Zwei Jahre ging das hin und her, bis sie dann, Nico war mittlerweile drei Jahre alt, gekommen ist, um mit uns zu reden. Paul hat sie vom Flughafen abgeholt. Und was dann passiert ist, weißt du. Sie waren beide sofort tot.« Sie lacht bitter auf. »Und ich hatte Nikolaus. Was für eine Ironie des Schicksals.« »Und das alles weiß niemand?« »Kai hat es gewusst. Ich wollte, dass er versteht, warum ich mir mit Nico so viel Mühe gebe, ihm Raum lasse, ihn stütze.« »Er wollte es nicht Nico sagen?« Sie schüttelt den Kopf. »Natürlich nicht. Wie kommst du denn darauf?« So viele Dinge schießen mir durch den Kopf, ich weiß nicht mehr, was oben und unten ist. Ich kann das alles nicht verstehen, habe keine Ahnung, welche Fragen ich zuerst stellen muss. »Warum hast du dich damals nicht von Paul scheiden lassen? Du warst doch beim Anwalt deswegen?« Sie starrt mich verwirrt an. »Da war dieser Artikel in der Zeitung. Ein Foto, das dich schwanger vor der Anwaltskanzlei zeigt.« »Du solltest nicht alles glauben, was die Presse schreibt«, sagt sie verächtlich. »Damals ging es nicht um Scheidung, sondern um die Adoption.«
    »Aber warst du denn gar nicht wütend auf Paul? Schläft mit einer anderen, während du schwanger bist?« Sie wirft mir einen verächtlichen Blick zu. »Musst gerade du sagen. Du weißt nicht, was Liebe wirklich bedeutet.« »Das nennst du Liebe?« Sie schüttelt leicht den Kopf. »Du hast keine Ahnung, Mädchen, also versuch es gar nicht. Paul war krank, aber er hat mich jeden Moment seines Lebens geliebt und ich ihn.« »Krank? In den Zeitungen war von Alkohol und Drogenexzessen die Rede.« Sie steht auf. »Es war ein Fehler, mit dir zu reden. Du bist zu jung.« »Zu jung? Dann erklär es mir!«, schreie ich jetzt, weil ich das Gefühl habe, dass sie mir das Allerwichtigste verschweigt. »Paul hatte Probleme, er war tatsächlich sehr krank. Wir haben das nicht gewusst und schon gar nicht verstanden. Erst in Florida hat ein Arzt erkannt, welche Ausmaße seine Krankheit angenommen hatte.« Sie sieht jetzt traurig aus. »Ich wünschte, wir hätten das früher gewusst. Dann wäre es auch nicht zu dieser Affäre gekommen. Es ist in einer seiner manischen Phasen passiert. Da hat man sein sexuelles Verlangen manchmal nicht mehr unter Kontrolle. Er war bipolar.« »Bipolar?« Etwas blitzt in meinem Gedächtnis auf. »Was bedeutet das?« Brigitte betrachtet mich lange. »Vielleicht siehst du das am besten im Internet nach. Neugierig genug bist du ja.« Sie geht zur Tür. »Bitte bleib hier«, sagt sie. »Ich muss nachdenken, was wir jetzt tun.« Einen Moment später ist sie verschwunden und lässt mich völlig verstört zurück.
    Sobald sie weg ist, fahre ich den Computer hoch und sehe nach, was bipolar ist, denn mir ist inzwischen klar, woher mir das Wort bekannt vorkam. Die Quittung in der Kimonotasche. Kais Kimono. Ich war davon ausgegangen, dass es etwas mit dem Polarmeer zu tun hatte, aber jetzt sehe ich, was es tatsächlich ist.

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