Prinzentod
schließlich, wenn du überhaupt weißt, was das bedeutet.« Sie spritzt mir Wasser ins Gesicht. »Geh bitte raus!«, presse ich endlich hervor. »Verschwinde hier!« Brigitte lächelt. »Warum sollte ich? Das ist mein Haus, meine Wohnung, mein Bad.« Ich traue mich nicht aufzustehen. Das nächste greifbare Handtuch ist im Regal auf der anderen Wandseite. Ich müsste nackt quer durchs Bad, vielleicht würde ich ausrutschen, was hat sie vorhin gesagt: zu viele Unfälle in dieser Familie? Ich muss sie irgendwie ablenken, von Kai wegbringen, so wie sie spricht, kommt sie mir unberechenbar vor. »Wer ist Nicos Mutter?«
Brigitte zieht ihre Hand aus dem Wasser und schüttelt die Tropfen über meinem Kopf ab. »Hat Kai dir das verraten?« Mein Kopfschütteln überrascht sie. »Dann bist du klüger, als ich dachte.« Wenn sie mich umbringen will, warum hat sie’s dann nicht längst getan? Warum dieses Katz-und-Maus-Spiel?« »Meinst du, du hättest verdient, dass ich dir irgendetwas erkläre?«, fragt sie im Plauderton. »Ja«, bringe ich hervor. »Du bist an Kais Tod schuld und ich kann damit zur Polizei gehen.« Brigitte lacht jetzt laut. »Liegt nackt in der Badewanne und riskiert eine große Schnauze. Kai hatte einen Unfall, hast du das nicht kapiert?« »Ach ja? Und woher hast du dann sein Handy, das doch angeblich aus dem Auto gestohlen wurde?« Sie starrt mich einen Moment lang verdutzt an und in diesem Augenblick wird mir klar, dass sie wirklich glaubt, Kai hätte einen Unfall gehabt. »Das kam heute mit der Post. Als ich es angeschaltet habe, erschien zur Krönung ein Bild von dir und Kai vor der Dusche als Displayhintergrund.« Sie hält inne. »Dann war dein sogenannter verheirateter Lehrer also Kai! Mann, bin ich blöd!« Genau das Gleiche denke ich auch gerade über mich. Wer zur Hölle hat Kais Handy genommen, wenn es nicht Brigitte war? Bernadette? Nico? Doch Violetta? Ich weiß es einfach nicht! Brigittes Blick wandert zu meinem nackten Bauch. »Ich hoffe nur, du hast dich geschützt.« »Warum betonst du das denn immer so? Hat das etwas mit Nicos Mutter zu tun?« Es ist nur eine Vermutung, aber ich treffe ins Schwarze.
Sie richtet sich auf und starrt an die gegenüberliegende Wand. »Warum willst du das so genau wissen? Weil du selbst so eine Schlampe bist?« Sie keucht. »Ja, Paul hat Judith, unser Au-pair-Mädchen geschwängert, als ich mit Bernadette schwanger war und sechs Monate lang liegen musste. Judith hat es erst Ende des vierten Monats kapiert, aber das war egal, denn eine Abtreibung kam für Paul sowieso nicht infrage. Sein Kind musste geboren werden. Es war ein Sohn. Sein Sohn.« Brigitte steht auf und holt mir ein Handtuch aus dem Regal. »Zieh dir etwas an, wir reden woanders weiter. Ich kann deinen Körper nicht mehr ertragen.« Sie verlässt das Badezimmer. Endlich. Ich trockne mich nur notdürftig ab, renne in mein Zimmer, ziehe ein T-Shirt über und Shorts und überlege gerade, ob ich einfach aus der Wohnung fliehen kann, da steht Brigitte schon wieder vor mir. Sie hat ein Glas Wasser in der Hand. »Trink!« Ich nehme das Glas, zögere. »Du tust ja gerade so, als hätte ich vor, dich zu vergiften.« Da halte ich es nicht mehr aus und ich erzähle ihr, was alles passiert ist, seit Kai tot ist. Brigitte setzt sich auf mein Bett und lauscht. Ihre Hände zupfen ruhelos am Laken herum, aber sie sagt kein Wort. Wann immer ich innehalte, fordert sie mich mit einem leichten Kopfnicken zum Weiterreden auf. Von dem Wasser trinke ich trotzdem nichts. Als ich geendet habe, herrscht einen Moment Schweigen zwischen uns. Dann räuspert sie sich und meint: »Das hört sich ziemlich krank an.« Sie fährt sich durch ihre roten Haar-fransen. »Aber das hast du dir selbst zuzuschreiben. Geheimnisse und Lügen – sie führen zu nichts. Nur in die Katastro phe.« Sie unterbricht sich und schaut aus dem Fenster. Dicke Regentropfen schlagen gegen die Scheibe. »Früher habe ich auch geglaubt, dass es gute Geheimnisse gibt. Notlügen, die die Menschen schützen, die man liebt.« Sie dreht mir den Rücken zu. »Aber heute weiß ich, dass jede Art von Geheimnis für eine Familie tragisch endet. Nikolaus wurde nicht am sechsten Dezember geboren, sondern schon am elften August. Nikolaus hat an beiden Tagen Namenstag, deshalb haben wir uns für diesen Namen entschieden. Nicos Sternzeichen ist Löwe. Paul und ich haben ihn gleich nach der Geburt adoptiert. Judith hat ihren Sohn danach nicht wiedergesehen. Paul hat
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