Prinzessin in Pink
krachte (das mich an die Aubergine erinnerte, die auf der Straße zerplatzte, als ich sie damals aus Lillys Zimmer im 16. Stock warf), dann davon abprallte und zu Boden fiel.
Boris schlug beide Hände über dem Kopf zusammen und wankte so, dass der Superkleber-Erfinder ganz panisch wurde, weil er Angst hatte, Boris würde seine Aufzeichnungen durcheinander bringen.
Eigentlich war es ganz spannend, die verschiedenen Reaktionen zu beobachten. Lilly schlug die Hände vors Gesicht, rührte sich nicht vom Fleck und wurde blass wie der... na ja, der Tod. Michael fluchte und stürzte auf Boris zu. Lars rannte aus dem Zimmer und brüllte: »Mrs Hill! Mrs Hill!«
Und ich zog mir - ohne nachzudenken - mein Schulsweatshirt über den Kopf, ging zielstrebig zu Boris hin und befahl
ihm: »Hinsetzen!«, weil er wie ein kopfloses Huhn herumrannte. Nicht dass ich je ein frisch enthauptetes Huhn gesehen hätte. Hoffentlich muss ich mir auch nie eins ansehen, aber man sagt das ja so.
Zu meiner großen Überraschung gehorchte Boris aufs Wort, er sank auf den nächsten Stuhl und zitterte wie Rommel, wenn es draußen donnert. In meinem neu erworbenen Kommandoton, den ich selbst noch nie an mir gehört hatte, befahl ich: »Hände weg!«
Boris nahm die Hände vom Kopf.
Ich drückte mein zusammengeknülltes Sweatshirt auf das kleine Loch in seinem Schädel, um die Blutung zu stoppen, wie ich es mal bei einem Tierarzt im Fernsehen gesehen hab, als ein angeschossener Pitbull eingeliefert wurde.
Danach brach das volle Inferno los.
• Lilly begann, laut zu schluchzen wie ein Baby, was ich bei ihr seit der zweiten Klasse nicht mehr erlebt hab, als wir mal kleine Geburtstagsmuffins glasierten, um sie in der Klasse zu verteilen, und ich ihr halb aus Versehen, halb absichtlich den Gummispatel in den Rachen stieß, weil sie die ganze Glasur wegfraß und ich Angst bekam, sie würde nicht mehr für alle Muffins reichen.
• Der Superkleber-Erfinder floh aus dem Zimmer.
• Mrs Hill rannte ins Zimmer, gefolgt von Lars und ungefähr der Hälfte der Lehrer, die anscheinend alle nichtsnutzig im Lehrerzimmer rumgehockt waren, wie es die Lehrer an der Albert-Einstein-Schule eben so machen.
• Michael beugte sich über Boris und redete leise und beruhigend auf ihn ein, was er sich bestimmt von seinen Eltern abgeguckt hat, die öfter mal mitten in der Nacht von Patienten
angerufen werden, die eigenmächtig ihre Psychopillen abgesetzt haben und damit drohen, als Clowns kostümiert den Merrit Parkway auf und ab zu fahren. »Alles wird gut, Boris. Keine Angst. Tief einatmen. Sehr gut. Und gleich noch mal. Tief und gleichmäßig atmen. Alles wird gut. Du wirst schon sehen.«
Ich presste weiter das Sweatshirt auf Boris’ Kopf, während der Globus, der sich im Fallen anscheinend von seinem Ständer gelöst hatte und vielleicht auch durch Boris’ Blut glitschig war, träge herumkugelte, bis er schließlich mit Ecuador auf der Oberseite liegen blieb.
Einer der Lehrer hatte die Schulkrankenschwester geholt, die mich bat, das Sweatshirt kurz zur Seite zu schieben, um die Wunde zu begutachten. Sie ließ es mich hastig wieder festdrücken und sagte mit derselben beruhigenden Stimme wie Michael zu Boris: »Dann komm mal mit ins Krankenzimmer, junger Mann.«
Aber Boris schaffte es nicht aus eigener Kraft ins Krankenzimmer, weil seine Knie unter ihm einknickten, als er aufzustehen versuchte, was möglicherweise an seiner Unterzuckerung lag. Also mussten Lars und Michael ihn mehr oder weniger tragen, während ich neben den dreien herlief und weiter das Sweatshirt auf die Wunde drückte, weil … na ja, mir hatte niemand gesagt, dass ich damit aufhören sollte.
Im Vorübergehen guckte ich Lilly ins Gesicht und sie war wirklich weiß wie der Tod... ihr Gesicht hatte genau die Farbe von New Yorker Schnee, so blassgrau mit einem Stich ins Gelbliche. Sie sah auch ein bisschen so aus, als sei ihr schlecht. Was ihr, finde ich, ganz recht geschah.
Tja, und jetzt sitzen Lars, Michael und ich hier rum und warten, während die Schulschwester das Unfallprotokoll schreibt. Sie hat Boris’ Mutter angerufen, die ihn abholen und zum Hausarzt bringen soll. Die Kopfwunde ist zwar nicht besonders
tief, aber die Schwester meint, Boris muss womöglich genäht werden und braucht auf jeden Fall eine Tetanusspritze. Sie hat mich für mein beherztes Eingreifen gelobt und dann gefragt: »Du bist doch die Prinzessin, oder?« Ich hab bescheiden genickt.
Ich muss echt sagen, dass
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