Prinzessin oder Erbse
Straßenseite geparkt ist. Er hebt noch mal die Hand, die Schwarzhaarige winkt zurück. Die Tür hinter ihr öffnet sich, und ein Mann mit Halbglatze streckt den Kopf heraus.
»Leila?« Die Frau dreht sich um. Ich fühle mich, als hätte mir jemand einen Schlag in die Magengrube versetzt und presse mich dicht an die Hauswand, damit David, der gerade an mir vorbeifährt, mich nicht sieht. Das ist also Leila. Die Leila, deren Post-it noch immer am Badezimmerspiegel meines Freundes hängt. Die er trifft, wenn er mir erzählt, dass er ins Fitnessstudio geht. Meine Gedanken rasen. Was läuft hier? Entschlossen stoße ich mich von der Wand ab, verlasse den Hauseingang und gehe schnellen Schrittes auf Leila zu, die noch
immer mit dem Halbglatzen-Mann in ein Gespräch vertieft ist. Meine Schritte werden langsamer, etwa eineinhalb Meter von den beiden entfernt bleibe ich stehen. Zögere. Vielleicht sollte ich doch umkehren? Ich werfe einen Blick auf den Hauseingang, aus dem David gemeinsam mit Leila und den anderen gekommen ist.
»Hallo«, sagt Leila und lächelt freundlich. Sie hat eine tiefe Stimme, fast wie ein Mann. Irritiert sehe ich sie an. Mit ihrer schlanken Figur und der üppigen Haarmähne sah sie von weitem jung aus, aber jetzt kann ich die tiefen Falten um ihren Mund und die Augen erkennen. Ich schätze sie auf Anfang fünfzig.
»Äh, hallo.«
»Wolltest du zur Versammlung?«, erkundigt sie sich schleierhafterweise und deutet mit der Hand auf den Hauseingang. Vorsichtshalber nicke ich, auch wenn ich keine Ahnung habe, von was für einer Versammlung die Rede ist. »Tut mir leid, die ist schon vorbei.« Sie zuckt bedauernd die Schultern. »Wir treffen uns hier jeden Dienstag und Donnerstag um halb sieben.«
»Ach so. Aha«, murmele ich. Dienstags und donnerstags. Das passt. An keinem dieser Abende habe ich David in den letzten Wochen gesehen. Statt im Fitnesscenter war er also hier. Mit Leila. Aber warum?
»Lass dich davon nicht entmutigen. Warst du schon mal bei einem Treffen?« Ich schüttele den Kopf und sehe sie ängstlich an. Worum geht es hier? Scientology? Swinger-Club? Terrorismus? Die wildesten Fantasien schießen mir durch den Kopf. »Es ist gut, dass du diesen Schritt gehst«, sagt Leila mit ihrer samtigen Stimme und sieht mir fest in die Augen. »Komm unbedingt am Donnerstag wieder. Oder schau auf unsere Homepage.« Sie
zieht ein Kärtchen aus ihrer Tasche und reicht es mir. »Es gibt fast jeden Tag irgendwo in Hamburg ein Meeting. Okay?« Ich nehme die weiße Karte, auf der nichts als die Adresse einer Internetseite abgedruckt ist, entgegen. In meinen Ohren beginnt es zu rauschen.
»Danke«, sage ich mechanisch.
»Keine Ursache. Also, bis bald?« Ich nicke, drehe mich auf dem Absatz um und laufe wie betäubt den Bürgersteig entlang.
»Da bist du ja«, ruft Felix mir entgegen, als ich das Tor zum Park erreiche.
»Wie siehst du denn aus? Du bist leichenblass.« Julia nimmt mein Gesicht in beide Hände und sieht mich forschend an. »Ist alles in Ordnung?«
»Ja, ja, alles bestens.« Meine Faust schließt sich fest um die Karte.
»Wirklich?«
»Ich bin nur ein bisschen erschöpft, das ist alles.«
»Fühlst du dich nicht auch ein bisschen gut, weil du deinen Schweinehund überwunden hast?« Ob ich mich gut fühle? Nein, das kann ich nicht behaupten. Ich fühle mich schrecklich. Seit drei Monaten bin ich jetzt mit David zusammen, doch eigentlich weiß ich nichts von ihm. Nichts von seinem bisherigen Leben, von seinen Problemen, von seinen Abgründen. Wieso hat er kein Vertrauen zu mir? Wieso belügt er mich? Glaubt er, ich würde ihn nicht mehr lieben, wenn ich die Wahrheit über ihn wüsste? Und könnte er damit vielleicht sogar Recht haben? Muss er mir den perfekten Märchenprinzen vorspielen, weil ich das von ihm erwarte? Den ganzen Rückweg über ergehe ich mich in Selbstvorwürfen.
David tut mir unendlich leid. Wem auf der Welt kann man vertrauen, wenn nicht einmal der eigenen Freundin? Nun, zum Beispiel Leila, fällt mir ein, und es versetzt mir einen Stich. Doch sofort rufe ich mich selbst zur Ordnung. Ich sollte mich freuen, dass es jemanden gibt, mit dem David reden kann. Der »immer für ihn da ist«. Auch wenn ich diese Person lieber selber wäre.
»Fanny, was ist denn bloß los?«, unterbricht Julia meine Gedanken. »Du siehst wirklich aus, als hättest du einen Geist gesehen. Nun sag doch endlich, ist irgendetwas passiert? « Ich sehe in ihre warmen braunen Augen, die mich
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