Prinzessinnensöckchen (German Edition)
Sonntagmittag frei. Es wurde beinahe unerträglich, als Kevin in einem Pulk älterer Damen auftauchte, adrett in seinen Konfirmationsanzug gesteckt, die Haare mit Zuckerwasser gebändigt, an der Hand seiner Frau Mama – na ja, ganz so schlimm war es nicht, aber schlimm genug. Zum Glück fanden sie sofort einen freien Tisch und mussten sich nicht vor Carmens Nase herumdrücken.
Das sei eben das Sonntagsgeschäft an so verboten sonnigen Tagen, wenn die Temperatur knapp über zwanzig Grad reicht und die Natur lockt. Behauptete jedenfalls Clara, der dieser ganze Trubel nichts auszumachen schien. Starkes Anwesenheit überraschte sie hingegen. »Der hier? Sonntagmittag? Muss man sich rot anstreichen, den Tag. Dreimal Schwarzwälder und drei Kännchen.«
Carmen registrierte, dass sich ihre Laune, die am Morgen mindestens so strahlend wie die Sonne gewesen war, rapide verschlechterte. Emilys trauriger Blick beim Aussteigen, das heftige Umarmen vorher, der Wangenkuss – und die Frage, die Carmen auf der Zunge gelegen hatte, aber nicht hinaus wollte. »Kuschelst du auch mit deiner Mama?« Nein, sie hatte es nicht gefragt. Was wusste sie schon über diese Louise Schmitz, diese Frau mit den großen finanziellen Sorgen...
Sie hatte nur dem Mädchen nachgeschaut, das langsam die Straße entlang ging, einen Kiesel in den Rinnstein kickte, wütend, wie es Carmen schien, sich nicht mehr umdrehte, bevor es das Gartentor öffnete, dann aber doch noch einmal und winkte.
Und was hatte der Besuch bei den ANONYMEN SPIELERN gebracht? Nichts. Gut, eine Information. Die Suchtklinik. Aber die käme auf ein großes, längst erschlossenes Areal am Rand von Oberwied, deshalb hatten sich Pohland und Völkert ganz sicher nicht bemüht, Haus um Haus, Grundstück um Grundstück aufzukaufen. Zumal das alles auf dem Katasterblatt aussah wie ein Flickenteppich, wahllos und dem Zufallsprinzip geschuldet, keine zusammenhängende Fläche.
Der mürrische Konditor in der Backstube, sein unmissverständlicher Blick. Er mochte sie nicht. Mehr noch: Er hasste sie, so etwas merkte man. Aber warum? Als Krönung schließlich: Kevin. Der Mustersohn als Hahn im Korb. Gabelte friedlich mümmelnd seine Herrentorte, parierte das Geplapper der Damen mit wie festgetackert wirkendem Grinsegesicht, wenn er jetzt auch noch beim Kaffeetrinken den kleinen Finger abspreizt, schicke ich ihn in die Wüste, entschied Carmen düster entschlossen. Gott sei Dank tat er das nicht.
Eine männliche alte Jungfer war ihr da – na ja, in den Schoß gefallen konnte man nicht sagen, darin bestand ja das Problem, wenn man es auf den Punkt brachte. Jetzt war Carmens Stimmung wirklich im Keller. Ob er am Ende schwul war und es bloß nicht wusste? Sie hatte gar nichts gegen Schwule, als Liebhaber waren sie aber denkbar ungeeignet, wenn man eine Frau war. Dabei war das nicht einmal das Schlimmste.
Sie ließ ein Kännchen überlaufen, verbrannte sich die Finger, fluchte so heftig, dass Clara, die an der Theke stand und auf Nachschub wartete, ein »oha!« hören ließ. »Kann passieren, immer mit der Ruhe.« Und, augenzwinkernd und zu Kevins Tisch schielend: »Der junge Mann hat einen Schlag bei älteren Frauen. Und der Anzug passt ihm auch noch.« Das war nicht zum Lachen, fand Carmen und lachte demonstrativ. »Das üben wir noch mal«, kommentierte die Kollegin und griff sich die fertigen Tabletts.
Nein, das Schlimmste wäre das wirklich nicht. Das was seit dem Morgen in Carmens Kopf saß, sich nicht zeigte, aber dennoch auf sich aufmerksam machte, kam nun zum Vorschein. Ein Verdacht. Ganz normale Menschen sind das, die Fuß- und Söckchenriecher wie die Spielsüchtigen. Perverse? Darunter stellte man sich etwas anderes vor, Monster mit stechenden kleinen Augen, verschlagenen Blicken, Außenseiter, wahrscheinlich mit dem Satz »Achtung, ich bin pervers« auf die Stirn tätowiert. Aber nein, sie waren wie du und ich. Genauer: Sie WAREN du und ich. Vielleicht hießen sie Kevin, waren Polizisten, lebten bei ihren Müttern, aßen Kuchen in Cafés, gaben sich zuverlässig und hilfsbereit, doch hinter den Masken lauerten die Abgründe.
Wie sähe wohl Kevins Zimmer aus? Hingen Poster mit Fantasyfiguren an den Wänden, martialische Szenen aus der Artus-Sage, in der Mitte das Prunkstück, das Schwert Excalibur? Mein Gott, was phantasierte sie selbst sich da zusammen!
Schwärzer hätten Carmens Gedanken nicht sein können und sie ließen sich nicht verscheuchen, so sehr sie sich auf die
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