Prinzessinnensöckchen (German Edition)
Arbeit konzentrierte. Einmal noch musste sie in die Backstube, wo Starke saß, breitbeinig, den Kopf gesenkt, auf die Fliesen starrend, als sie eintrat hochschaute, eine Fratze mit nasser roter Stirn, die Carmen frösteln ließ, obwohl ihr heiß war. Was stimmte bloß nicht mit dem?
*
Er kam ihr bekannt vor. Nichts Genaues, so sehr sie auch überlegte. Und Hanna hatte genug Zeit zum Überlegen. Sein Gang, seine Konturen, etwas in der Art, wie er ging. Das beschäftigte sie eine Zeitlang, wenn sie nicht gerade lauschte, die Trippelschritte von Ratten zu hören glaubte und das Blut in ihren Adern unwillkürlich seine Temperatur senkte. Immerhin hatte sie keinen Durst mehr. Er war gekommen, alles war wie immer gewesen, fast schon ein eingespieltes Team. Zur Toilette, das Füttern mit diesem ekligen Haferschleim, diesmal hatte er Honig hineingemischt, sicher gut gemeint, aber Honig hasste sie wie die Pest, fast so wie andere Spinat hassten, aber den liebte sie komischerweise. Spinat mit Salzkartoffeln und Fischstäbchen. Das fiel ihr ein, ja, als Kind wenigstens, Fischstäbchen! Wie ihre Augen da geglänzt hatten, wie sogar der Mutter das nicht entgangen war, wie sie sich selbst zu freuen schien, dass sich Hanna freute. Lange her.
Das Beste aber war: Er hatte einen großen Becher Cola mit Strohhalm dagelassen, neben sie gestellt. Den konnte sie mit ihren gefesselten Händen greifen, wenn sie die Handflächen gegen den Widerstand der Stricke auseinander bog und dabei die Handballen fest gegeneinander drückte. Die Stricke. Das war so ein Kabelzeugs eher. Sie hatte versucht, den Knoten mit den Zähnen aufzuziehen, hoffnungslos, davon bekam sie höchstens Zahnschmerzen. Der Becher Cola bedeutete doch, dass er sie am Leben lassen würde, oder? Was sonst? Sie hasste es, darüber nachzudenken, was sonst noch dahinterstecken könnte. Sie hasste überhaupt gerade alles was in ihrem Kopf rumorte, all diese Bilder von früher, die Fischstäbchen, die Mutter, den Honig, den Spinat, die Ratten, von denen sie wusste, dass sie da waren und lauerten, bis sie eingeschlafen sein würde.
Und sie hasste Emily. Ja, Emily auch. Weil sie nicht bei ihr war, es ihr gut ging, sie wohl auf ihrem Bett lag und Musik hörte, damit begonnen hatte, Hanna zu vergessen. Das war ungerecht, klar war es das. Und furchtbar egoistisch. Sie wollte doch nicht, dass Emily bei ihr war, gefesselt wie sie, ängstlich wie sie. Doch, sie wollte es. Nein, sie wollte es nicht. So ging das. Das machte einen verrückt.
Was, wenn sie hier lebend rauskäme? Sie würde ihr Leben ändern, gründlich ändern, auf den Kopf stellen. Aber wenn sich das Leben nicht ändern ließ? Wenn es massiv und unbeweglich war wie ein Berg, unverrückbar, ewig? Sie hatte in der Schule die Geschichte mit dem Vogel gehört, der alle tausend Jahre zu einem Berg kam, seinen Schnabel daran zu wetzen. Und dann hatte die Lehrerin sie gefragt, wie lange der Vogel wohl brauchen würde, den ganzen Berg abzutragen. Dumme Frage. So viel Zeit gab es doch gar nicht! Nicht einmal in der Ewigkeit.
*
Die vier Stunden, in denen das Café an Sonntagen geöffnet hatte, waren die turbulentesten und die kürzesten zugleich. Aber nun war es vorbei. Carmen beeilte sich, nach Hause zu fahren, tat es natürlich nicht, steuerte in Emilys Straße, hielt an, beobachtete das Haus. Als Kevin mit seiner Mutter und den anderen Damen das Café verlassen hatte, ihr nur einen sehr flüchtigen Blick widmend, war ihre Stimmung schon wieder etwas besser geworden. Das lag aber wohl nur an der Müdigkeit, daran, dass sie keine Kraft mehr hatte, an irgendetwas zu denken. »Wow, der junge Herr Polizist hat vier Euro Trinkgeld gegeben«, teilte Clara mit, »aber du hättest mal sehen sollen, wie ihn seine Mama dabei angeguckt hat. Mein Sohn, ein Verschwender!« Darüber hatte Carmen sogar kurz lachen können.
Jetzt gähnte sie. Es dämmerte, bald wäre es dunkel, das ging schnell zu dieser Jahreszeit. Im Haus der Familie Schmitz waren schon die Lampen eingeschaltet worden, alles lag ruhig und friedlich. Sie sollte heimfahren, es war alles in Ordnung, vor einer halben Stunde hatte sie noch mit Emily telefoniert, die machte Hausaufgaben und würde heute Abend zusammen mit ihrer Mutter eine Castingshow gucken. »Aber morgen Früh holst mich ab und bringst mich in die Schule, ja?« Hatte sie natürlich versprochen. Zwanzig nach sieben wäre sie da, den Montagvormittag würde sie noch bedienen, den Nachmittag hätte sie dann
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