Privatdetektive (16 Romane in einem Band)
hatte.
Ein dicker Mann stieg aus dem Lastwagen. Dick und riesig. Er war fast zwei Meter groß und sah auf Marwitz herab wie auf einen kleinen Jungen.
„Ist doch noch ein bisschen später geworden. Da war ein Unfall in Rheydt, und zwar genau dort, wo ich herfahren musste. Du kennst die Ecke. Da …“
„Ist ja nicht weiter tragisch, Harry“, schnitt ihm Marwitz das Wort ab. Nach Harry Handbroichs aufregenden Abenteuern im Straßenverkehr stand ihm im Moment einfach nicht der Sinn.
Harry – eigentlich Harald – Handbroichs Aufmerksamkeit wurde im Augenblick ohnehin abgelenkt. Er sah zur Straße, wo ein Streifenwagen sehr langsam entlangfuhr. Zwei Beamte saßen darin, ein Mann und eine Frau. Der Mann saß am Steuer, die Frau ließ die Seitenscheibe nach unten und nickte Marwitz zu.
Der Event-Manager erwiderte flüchtig den Gruß. Eine Geste, die so viel wie „Alles in Ordnung“ signalisierte. Aber wenn wirklich etwas passierte, dann waren die Uniformträger – da war sich Marwitz sicher – sowieso gerade ganz woanders. Durch die verstärkten Polizeistreifen fühlte er sich jedenfalls keinen Deut sicherer, zumal ihm die nicht im Mindesten helfen konnten, wenn er unterwegs war, und das war bei ihm nun mal sehr häufig der Fall.
„Hast du irgendwelche Schwierigkeiten?“, fragte Harry Handbroich, während er die Ladeklappe des Lastwagens öffnete.
„Wieso?“
„Na, wegen der Bullen.“ Harry hatte die Zeit zwischen seinem zwanzigsten und dreißigsten Geburtstag in verschiedenen Bauwagen und besetzten Häusern in Berlin-Kreuzberg zugebracht, wohin es ihn auf der Flucht vor dem Wehrdienst verschlagen hatte. Schließlich aber war er dann doch noch bürgerlich geworden und in seine Heimatstadt Mönchengladbach zurückgekehrt, wo er mit Mitte fünfzig die elterliche Spedition übernommen hatte. Aber Polizisten waren für ihn trotzdem immer noch Bullen.
„Lass uns auspacken“, wich Marwitz der Frage aus.
Der Streifenwagen blieb am Straßenrand stehen, der Fahrer stellte sogar den Motor ab. Präsenz zeigen. Darauf lief es wohl hinaus. Die Beifahrerin telefonierte.
Marwitz und Harry wuchteten den ersten der großen PA-Lautsprecher aus dem Lastwagen. Die Stimmung auf dem Korschenbroicher Schützenfest war damit für dieses Jahr gerettet.
„Hast du keine Sackkarre oder so was?“, fragte Harry.
In diesem Moment gab es einen dumpfen Knall. Etwas krachte mit ungeheurer Wucht durch den Lautsprecher hindurch, sprengte noch den Putz von der Gebäudewand und prallte dann einen Meter zurück auf den Asphalt.
Ein Armbrustbolzen!
Die PA-Lautsprecherbox war nicht mehr zu gebrauchen. Ein armdickes Loch klaffte in der Lautsprechermembran.
„Hey, was ist das denn?“, rief Harry Handbroich verdutzt und absolut verwirrt. Seine Zeiten als Streetfighter im Berliner Häuserkampf waren schon zu lange her, als dass er diese Situation hätte gelassen nehmen können.
Marwitz starrte zum Dach der Lagerhalle auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo gerade eine Gestalt aufsprang. Sie war nur als Schattenriss zu erkennen, hielt aber etwas in der Hand, das wie eine Armbrust aussah.
Die beiden Polizisten hatten den Schützen offenbar auch gesehen, denn der Beamte am Steuer startete sofort den Motor.
Marwitz rannte über die Straße.
„Bleiben Sie, wo Sie sind, Marwitz!“, rief ihm die Beamtin zu. Sie war noch ziemlich jung, aber in ihrer Stimme lag eine Autorität, die Marwitz tatsächlich stoppte. Nach Atem ringend stand er da, während der Streifenwagen auf das Firmengelände auf der anderen Straßenseite fuhr.
Mit quietschenden Reifen stoppte das Fahrzeug. Die beiden Beamten sprangen heraus, und die Frau zog ihre Waffe. Ihr Kollege rief zuerst über Funk Verstärkung, dann nahm er ebenfalls die Dienstwaffe aus dem Holster.
Sie gingen vorsichtig voran. Jeder nahm sich eine Seite der Lagerhalle vor. Das vordere Tor war verriegelt. Gearbeitet wurde hier zurzeit nicht. Die Firma, der das Lagerhaus gehörte, war ein Zulieferer im Anlagenbau, und wegen der gegenwärtigen Wirtschaftskrise hatte sie derzeit den Betrieb einstellen müssen.
Auf der anderen Seite des Gebäudes trafen sich die beiden Polizisten wieder. Von der Gestalt auf dem Dach war nirgends etwas zu sehen.
„Glaubst du an Zauberei?“, fragte die Beamtin.
„Seit dem letzten Kindergartenjahr eigentlich nicht mehr“, antwortete ihr Kollege.
„Es gibt hier nirgends eine Leiter oder dergleichen. Von außen kann er nicht auf das Dach geklettert
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