Private Dancer
ablegte. Er gab mir die Hand, sagte aber kein Wort und kam zu mir. Ich schenkte ihm ein Glas Champagner ein und lächelte, meine Unsicherheit versteckend. Er nahm das Glas und prostete mir zu. Ein wenig peinlich war mir die Situation nun doch, die Stille in der Eingangshalle war bedrückend. “Zum Glück hat der Regen wieder aufgehört, nicht wahr?” brabbelte ich drauf los und bekam einfach keine Antwort auf alles was ich zu erzählen hatte. Ich erzählte von meinem Job, wie es dazu kam, dass ich für Frau Reichenbach arbeitete, fragte ihn, ob er ein guter Bekannter von Frau Reichenbach sei, ob er einen weiten Weg bis hierher hatte und er sagte einfach nichts! Auch auf die Erklärung, dass Frau Reichenbach sicher bald käme und sonst noch kein weiterer Gast eingetroffen war, hatte der Herr nichts zu entgegnen. Er stand nur etwa zwei Meter von mir entfernt, starrte mich unentwegt an und nippte stetig an seinem Champagner. Vielleicht war er der Gevater Tod und überlegte, ob er jetzt mich anstatt der Reichenbach mitnehmen sollte. Ich versuchte meine Verzweiflung zu verbergen und tat so, als würde ich das Etikett auf der Champagnerflasche studieren, immer wieder linste ich zu ihm rüber und erschrak jedes Mal wenn ich feststellte, dass er mich noch immer anstarrte. Die längsten drei Minuten meines Lebens vergingen, als plötzlich das schönste Geräusch der Welt den Raum erfüllte, ein weiterer Gast hatte geläutet und ich stürmte erleichtert zur Tür. Diesmal war es eine Frau um die Fünfzig, die mich freundlich begrüßte und was das Beste war, direkt anfing, sich mit mir zu unterhalten. Als sie den Mann entdeckte, winkte sie ihm zu, worauf er lächelnd zurück winkte und, wie ich zu meinem Entsetzen feststellte, anfing in Gebärdensprache mit ihr zu kommunizieren. Das Loch, in dem ich versinken wollte, hatte sich nicht geöffnet und ich war überglücklich als Frau Reichenbach erschien und ich in die Küche flüchten konnte.
“Der Mensch ist das einzige Tier das errötet …und es auch sollte.” -Mark Twain-
Der Rest des Abends verlief absolut nach Plan! Ich hatte mit meinen ersten Gästen großes Glück und sogar der taubstumme Gregor lächelte mir zu, nachdem ich die Maronensamtsuppe serviert hatte. Die Charaktere in diesem, meinem ersten „Auftritt im Showgeschäft” hätten unterschiedlicher nicht sein können, was ich unheimlich spannend fand. Während der Ausbildung hatte ich herzlich wenig mit den Gästen zu tun gehabt. Ich war den ganzen Tag in der Küche und zeigte mich nur kaum. Jetzt war das anders, ich servierte die Gänge und wurde bei meinem Erscheinen in Gespräche einbezogen oder mit neugierigen Blicken bedacht. Ich schaffte es irgendwie, etwas Humor in meine Aussagen zu legen und so kam es, dass alle am Tisch kurz anerkennend und ehrlich lachten, nachdem ich etwas gesagt hatte und das gab mir unheimliches Selbstvertrauen, sie mochten mich anscheinend. Vielleicht war es eben dieser Kontakt mit den Gästen, den ich irgendwie immer vermisst hatte, jetzt hatte ich ihn und es gefiel mir unglaublich gut. Ich glaube das ist etwas, was mich von den meisten meiner „echten Kollegen“ (die Erklärung folgt) unterscheidet. Ich weiß zum Beispiel, dass mein Chef immer froh war, wenn ihn niemand hinter seinem Herd störte und wenn ein Gast nach dem Küchenchef verlangte, hatte er manchmal sogar mich raus geschickt, um die Lorbeeren zu kassieren (Beschwerden gab es nie, wenn mein Chef auftischte). Jetzt hatte ich alles vereinbart, perfekt! Die Grundkenntnisse des Services hatte man mir natürlich während der Ausbildung beigebracht, doch ich merkte, dass ich einige Einzelheiten noch nicht komplett verinnerlicht hatte. Ich war eben ein Koch und kein Restaurantfachangestellter. Trotzdem, perfekt sollte es sein. Ich hatte Glück, dass dieses kleine Manko niemandem außer mir aufgefallen war, wollte aber für meinen nächsten Auftrag besser vorbereitet sein. Ich genoss die Erfolge dieses Abends und schrieb mir in der Küche auf, worin ich mich weiterhin verbessern wollte. Ich lernte sogar ein paar Sätze in Gebärdensprache. Leider weiß ich heute nur noch „Ich liebe dich” (was ziemlich seltsam wäre, wenn ich es meinem Gast gebärden würde) und „Guten Appetit”. (Immerhin)
5
Die (nicht)Einhaltung der Regeln
Es gibt eigentlich nur zwei simple Regeln, die ein Angestellter in Privathaushalten unbedingt einhalten muss: Nichts
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