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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und fütterte Amseln und Stare. Allerdings tat er das nur, solange man ihn vom Schloß aus beobachten konnte. Außer Sichtweite schlug er einen Bogen wie ein Fuchs, der eine Witterung in die Nase bekommen hat, und wandte sich dem Birkenwald zu. Sichtlich beschwingt schritt er durch den hohen Schnee, und da Ewald Hoppnatz von jeher ein fröhlicher Mann war, schwang er seinen Spazierstock durch die kalte Luft, pfiff vor sich hin und verbreitete um sich den milden Glanz wunschloser Zufriedenheit.
    Aber das täuschte. Je näher er dem Birkenwald kam, um so schneller wurden seine Schritte. Nach Erreichung des Waldrandes begann er sogar zu rennen, anscheinend völlig grundlos, den Stock unter den Arm geklemmt, die Pelzmütze aus Karakulfell weit in den Nacken geschoben. Er sah nicht rechts noch links, er schien auch kein Gehör mehr zu haben, denn er vernahm weder das Scheuen eines Pferdes noch das leise: »Ganz still, ›Oberon‹!« einer menschlichen Stimme. In zwanzig Meter Entfernung rannte Ewald Hoppnatz an Dr. Linden vorbei, ein völlig fremdes Wesen mit glänzenden Augen und hüpfenden, fast zuckenden Schritten.
    Im Wald war eine Lichtung. Im Herbst hatte man hier Bäume gefällt, die Stämme geschnitten und gestapelt. Ab und zu rückte ein Kommando mit Pferd und Wagen von Schloß Bornfeld aus, lud zwei der Stapel auf und fuhr zurück. Dann wurde im Hof fleißig gehackt und gespalten. »Wer ein gemütlich knackendes Kaminfeuer haben will, muß auch Holz holen!« hatte Diakon Weigel gesagt. »Meine Herren, Sie wissen ja … hier sind wir alle Selbstversorger.« Und sie sägten und spalteten, trugen die Kloben ins Haus, schichteten sie auf und schärften Äxte und Sägen … vom Landgerichtsdirektor bis zum Professor, vom Generaldirektor bis zum Konsul. Es bekam ihnen gut … sie hatten wieder Appetit und Durst, sie aßen Huhn und tranken Tee.
    Ewald Hoppnatz blieb vor einem der Holzstapel stehen und ließ sich auf die Knie fallen. Mit beiden Händen scharrte er den Schnee fort, kroch fast unter den Stapel und zog nach einigem Suchen eine helle Flasche unter dem Holz heraus. Wie ein glücklicher Bär, der Honig gefunden hat, setzte sich Hoppnatz in den Schnee, lehnte sich gegen die Stämme und hob die Flasche an die Lippen. Mit verzückten Augen trank er, seine Schuhspitzen wippten auf und ab, als durchzöge eine fröhliche Melodie den Körper.
    Hinter einem Birkenbusch stand Linden und sah zu. Er rührte sich nicht, er unterbrach nicht den heimlichen Exzeß, er ließ den Glücklichen unentdeckt in seiner Seligkeit und schlich zu ›Oberon‹ zurück, als Hoppnatz die Flasche wieder unter den Stapel schob, Schnee davorscharrte und in einem Anfall ehrlicher Dankbarkeit die Arme weit ausbreitete und hinauf in den wolkenlosen blauen Himmel blickte.
    Zum Mittagessen trafen sie sich wieder im Speisesaal.
    »Da kommt unser Reitersmann!« rief Ewald Hoppnatz und klatschte in die Hände. »Breitbeinig, wie er geht, muß man annehmen, daß er ›Oberon‹ bezwungen hat! Ein Hoch dem Helden!«
    Dr. Linden setzte sich vorsichtig auf die Stuhlkante und lächelte sauer. Er sah Hoppnatz mit den Augen des Mediziners an und wunderte sich. Nichts verriet, daß er vor zwei Stunden im Birkenwald eine halbe Flasche ausgetrunken hatte. Ein bißchen euphorisch ist er, dachte Linden. Aber lustig ist er immer, so fällt es nie auf.
    »Ich habe ihn geritten!« sagte er laut in die erwartungsvoll schweigende Runde.
    »Bravo!« Dr. Wiggert klopfte an seinen Teller. »Das bedeutet, daß unser Freund Linden heute abend einen ausgeben muß.«
    Lähmende Stille lag plötzlich im Saal. Die Köpfe senkten sich. Landgerichtsdirektor Dr. von Hammersfeld schluckte krampfhaft. Prof. Dr. Heitzner baute aus Messern, Gabeln und Servietten ein barockes Gebilde.
    »Tee mit Gebäck natürlich …«, sagte Dr. Wiggert heiser. Er setzte sich und starrte auf seinen Teller. Seine Finger zitterten neben dem Besteck. Auch Diakon Weigel schwieg.
    Sie müssen hindurch, dachte er. Sie müssen durch ihre eigene Seele hindurch. Hier hilft ihnen nicht einmal Gott, der sonst für alles angerufen wird.
    Ein Trinker ist einsamer als ein Schlachtopfer der Politik … ihn segnet der Priester, damit er töten und getötet werden kann.
    Am nächsten Tag meldete sich zu aller Erstaunen Ewald Hoppnatz krank. Niemand wußte, was ihm fehlte, stundenlang saß Diakon Weigel an seinem Bett und redete auf ihn ein. Hoppnatz gab keine Antwort … er lag im Bett, auf dem Rücken, die

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