Privatklinik
sich über die Gesichtsmaske einen schnellen Blick zu. Schon wieder! Vor jeder großen Operation geht er hinaus. Und wenn er zurückkommt, sieht er aus wie ein junger Gott, sprüht vor Geist und Witz, und unter seinen Fingern entstehen chirurgische Extravaganzen, die sich nur ein Dr. Linden leisten konnte. Aber der Erfolg blieb ihm treu. Sein Ruf wuchs und wuchs.
Dr. Krüger trepanierte weiter. Er muß ein Stimulans nehmen, dachte er. Entweder spritzt er sich Morphium, schnupft Kokain oder er säuft. Noch niemand hatte ihn bei seiner geheimnisvollen Tätigkeit überrascht, denn wer ihn überraschen konnte, stand am OP-Tisch und war beschäftigt.
Die Schiebetür rollte wieder zur Seite. Dr. Linden kam zurück.
Elastisch, mit federnden Schritten, sprühenden Augen, fast verzückt von der Aufgabe, die auf ihn wartete.
»Schön, lieber Krüger!« sagte er, als er sich über den geöffneten Schädel Konsul Hatzenbachs beugte. »Wissen Sie, daß dieser Mann mit diesem Hirn einen Konzern von dreißigtausend Angestellten und Arbeitern leitet? An uns liegt es, ihn der Wirtschaft zu erhalten oder aus ihm einen stammelnden Säugling mit dem Körper eines Sechzigjährigen zu machen.« Er streckte die Hand aus. Die OP-Schwester gab ihm eine haarfeine Sonde. »Ich bin sicher, daß wir dem Konzern seinen Meister erhalten werden …«
Und er operierte, daß selbst Dr. Krüger das Empfinden hatte, diesen genialen Mann müsse man einfach lieben und verehren.
Am Nachmittag fuhr Dr. Linden zur Landesheilanstalt.
Ein Privatpatient Kaul hatte sich in seiner Kartei nicht gefunden. Somit war dieser Mensch, der ebenfalls Kaul hieß, uninteressant und ein Fall wie jeder andere geworden. Man kann sich irren, hatte Dr. Linden gedacht. In der Kartei gab es einen Dr.-Ing. Kauler. Fast ein Gleichklang des Namens. Aber dieser Dr. Kauler war schon vor einem Jahr gestorben. Eine ekelhafte Meningitis, die zu spät erkannt worden war.
An diesem Nachmittag wollte er seine Liste herunter untersuchen. Zuerst die Frauen, hatte er sich vorgenommen. Ein Entmündigungsantrag, eine Säuferin. Diese beiden Untersuchungen würden schnell gehen. Man ließ die Frauen eben reden, stellte hier und da eine weitertreibende Frage, und der Redefluß würde aus ihnen herausströmen wie an anderer Stelle die Entleerung eines Cholerakranken. Dr. Linden liebte solche Vergleiche, sie brachten freudigen Rhythmus in den Alltag.
Die Frauenabteilung der Heilanstalt war streng isoliert von den anderen Gebäuden. Drei große Pavillons lagen am hinteren Parkrand, umgeben von hohen Mauern. Hier lebten 248 Irre und 149 Trinkerinnen. Zwischen den einzelnen Pavillons hatte man ebenfalls Mauern gezogen, wenn auch nicht so hohe wie um den Frauenkomplex. Bis auf die Ärzte und den Pfarrer durfte kein Mann diesen Sperrbezirk betreten, ja selbst ein Besucher mußte im Hauptgebäude warten, bis man die Verwandte zu ihm führte.
Dr. Linden war bekannt. Die Oberschwester ließ ihn ein und berichtete, daß die beiden Patientinnen noch im Waschraum seien. In einer Viertelstunde ständen sie zur Verfügung.
»Gut.« Dr. Linden schlug den Mantelkragen hoch. »Dann gehe ich solange im Garten spazieren. Ich bin richtig lufthungrig, Schwester Beate. Den ganzen Tag im OP … man ist ja nicht mehr der Jüngste.«
Er sagte es so charmant, daß Schwester Beate versucht war, ihn zu trösten und ihm zu beteuern, daß er noch jugendlich und forsch sei und das Herz einer Frau allein mit dem Blick seiner treuen Augen erweichen könne. Sie unterließ es aber und ging schnell ins Haus zurück. Es ist schwer, in Gegenwart Dr. Lindens ein geschlechtsloses Krankenhausorgan zu bleiben.
Dreimal ging Dr. Linden im Kreis um das Mittelbeet, Rosen und Dahlien, blieb ein paarmal stehen und atmete tief durch. Am Sonntag reite und jage ich wieder, dachte er. Die Lunge braucht frische Luft. Ich fühle mich so dumpf wie selten. Ich muß mich wieder auslüften, bis in die Zehen hinein.
»Das tut gut!« sagte eine Stimme hinter ihm.
Eine helle, eine singende Stimme. Ein Klang zwischen Kindlichkeit und frivoler Süße.
Dr. Linden fuhr herum. Er hatte sich allein im Garten geglaubt, und nun sah er an der Hecke, auf einer Bank, ein Mädchen sitzen. Es lächelte ihn an, erhob sich und strich sich den Rock über die langen, schlanken Beine. Sein Haar war weißblond, floß in langen Strähnen wie eine goldene Mantilla über seine Schultern und rahmte ein Gesicht ein, das in seiner Kindlichkeit und seiner versteckten
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