Privatklinik
ihn euch wieder zurück«, sagte der Justizinspektor zu seinem Kollegen von der Klapsmühle. »Bei euch ist er sicherer. Der säuft uns noch den Brennspiritus weg, mit dem wir in der Glaserei die Scheiben polieren …«
Niemand fragte, warum sich Peter Kaul betrunken hatte, niemand warf einen Blick in sein zerrissenes Herz, in seine Verzweiflung, niemand erkannte, daß er ein Mensch war, in dem sich die Weltordnung aufzulösen begann. Ein Mensch, der Liebe brauchte, um zu gesunden, keine körperliche Liebe, sondern die warme, einbettende Liebe der Menschlichkeit – wer machte sich die Mühe, Peter Kaul danach zu fragen?
Man stieß ihn auf den bequemsten Weg. Man warf ihn zurück in die Arme von Judo-Fritze.
4
Die Rückkehr in die Landesheilanstalt erlebte Peter Kaul in der Dumpfheit eines alkoholgelähmten Gehirns. Die Verdünnung des reinen Alkohols war anscheinend doch nicht so gelungen, wie er es sich vorgenommen hatte. In seinen Hirnwindungen nistete Blei, sein Gleichgewichtssinn war gestört – er hatte den Eindruck, daß sein Kopf unheimlich schwer sei und den Körper ständig nach vorn und nach unten drückte. So ging er auch … mit wackelndem Kopf, strauchelnd, sich festhaltend an den beiden Beamten, die ihn zur ›Grünen Minna‹ brachten. Mit leerem Blick betrachtete er das Gefährt, kletterte in die schmale Zelle und lachte blöde, als er das Knirschen des Schlüssels hörte.
»Total weggetreten!« sagte Primel-Kurt, der bis zum Transportwagen mitgekommen war und dem Fahrer die Asservaten aushändigte, natürlich gegen Quittung und peinliche Nachzählung, denn spätere Reklamationen werden nicht anerkannt.
»Wenn ihr den in der Anstalt wieder hinkriegt, will ich Äpfelchen heißen! Sieht so harmlos aus, der Kerl, und ist dabei ein Schwein, sag' ich dir. Die ganze Zelle einhundertzwölf hat sich beschwert.« Er rückte die grüne Schirmmütze vom roten Kopf und wischte sich mit einem Taschentuch den Nacken und dann den Lederrand der Mütze aus. »So einer kann einem den ganzen schönen Knast versauen! Mach's gut Ludwig.«
Peter Kaul drückte das Gesicht gegen das dichte Gitter des Fensterchens, als der Wagen aus dem Gefängnis fuhr. Er winkte sogar zu Primel-Kurt hin, und dieser winkte zurück. Man ist ja gutmütig, man ist ja ein Menschenkenner und seelenvoller Beamter. Warum soll man armen Irren nicht winken? Im Grund sind es arme Menschen, dachte Kallenbach, Justizwachtmeister in grüner Uniform, im vierzehnten Dienstjahr verheiratet, Blumenliebhaber, freitags Stammtisch mit Skat, zum Martinstag sogar Preisskat um eine Gans, die er in vierzehn Jahren nie gewonnen hatte, was ihn maßlos ärgerte und an seine Beamtenehre griff, sonntags, wenn er dienstfrei war, Ausflug mit der Familie zur Gruga oder zum Baldeneysee, im Sommer Kahn fahren, im Winter Schlittschuh, aber das nur als Zuschauer, denn Primel-Kurt war fast zwei Zentner schwer und bot auf dem Eis kein Bild preußischer Schönheit. Abends zwei Flaschen Bier, Pils, weil's nicht so sehr ansetzt, Lektüre des Lokalanzeigers und des Zehnpfennig-Blattes, großer Ärger, wenn Reporter die Justiz angreifen, Fixierung eines Leserbriefes: »Als Beamter des Strafvollzugs möchte ich Ihnen mitteilen, daß Ihr Artikel …« Ja, was ist er? Eine Sauerei? Das ist Beleidigung. Eine Lüge? Das muß bewiesen werden? Eine Infamie? Wieder eine Beleidigung! Also was? Und so blieb der Leserbrief im ersten Satz stecken, aber man war abreagiert, und das Bier schmeckte wieder. Immer diese Angriffe auf die Beamten! Was wäre ein Staat ohne Beamte? Ein Würstchen ohne Senf! Jawohl! Freitags Skat, Schimpfen auf die Presse. Einmal im Jahr Treffen der Regimentskameraden. Alles ehemalige Zwölfender. Jetzt Beamte. Jungs, wißt ihr noch? Bei Rowenkij? Wie der Iwan plötzlich durchbrach, und der Alte saß auf dem Donnerbalken, und die Iwans schossen hinter ihm in die Scheiße? Mit blankem Arsch ist er abgewetzt, der Alte! Das war'n noch Zeiten, was? Hurra! Hurra!
Kurt Kallenbach winkte noch immer, und Peter Kaul, dieses arme Schwein Kaul, dieser arme, immer getretene, mißverstandene, räudige, ausgesetzte, versoffene Hund, winkte zurück, preßte die Stirn gegen die Gitter, bis sich das Muster auf seiner Haut abbildete, ein Gesicht wie ein Fliegendraht, und die Augen weinten plötzlich, der Mund zuckte, und die Zähne bissen in die Gitterstäbe. Verzweiflung, Ekel, Reue, Bitte, Aufschrei – es war alles in diesen Augen, in diesem Mund, in diesen gegen die Eisenstäbe
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