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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schlagenden Zähnen.
    Die Fahrt durch die Stadt war ein Erlebnis. Man konnte Gesichter studieren, Physiognomien, wie der Wissenschaftler sagt, Mädchen, die dumm kicherten, als sie das bleiche Gesicht hinter dem kleinen Gitterfenster sahen, die nagenden Zähne, wie ein Affe im Zoo, Orang-Utan Peter Kaul, oder auf lateinisch: Pithecus satyrus Peter Kaulae. Ha, das war es. Satyrus! Ein Satyrspiel war's, die Ausgeburt eines Komödiendichters, dem die Personen durchgegangen waren, die nun Tragödien spielten. Satyrspiele. Gehörnte Fabelwesen, die Elfen jagen. Haha, Peter Kaul – das bist du! Ein Affe, der Mensch sein wollte – oder ein Mensch, der lieber ein Affe wäre … es bleibt sich gleich.
    Und die Menschen sahen der ›Grünen Minna‹ nach, und sie hatten Gesichter wie Kreise und Flächen, wie Winkel und Quadrate, und darin glotzende Augen, verzogene Münder, Interesse, Ekel und Mitleid, Abscheu, Frage oder Mißachtung. Wie sich doch eine ganze Welt spiegeln kann in den Gesichtern der anderen, wenn man hinter Gittern quer durch eine Stadt fährt. Der Mann mit dem Fliegendrahtgesicht kann sich ja nicht wehren … man kann ihm zeigen, was man denkt, stumm, lautlos, nur mit dem Gesicht. Die Rache des normalen Menschen: Gnadenlosigkeit!
    Judo-Fritze stand am Tor, als der Wagen in den Aufnahmehof rollte. Wie eine Amme, der man das gestohlene Kind wieder an die Brust legt, glänzte sein Gesicht, er breitete die Arme aus und nahm Peter Kaul mit einem kräftigen Griff an die Schulter in Besitz.
    »Da sind wir wieder!« sagte er gemütlich und tätschelte Kaul die bleichen, von den Gittern eingerillten Wangen. »Und was versprochen ist, ist versprochen: Du bekommst ein eigenes Zimmer! Im ersten Stock! Beim Herrn Professor.« Und dann, geheimnisvoll, als verrate er ein Beichtgeheimnis: »Die Kirche übernimmt die Kosten. Was sagste nun? Stell dir vor, die sammeln vielleicht am Sonntag für dich im Gottesdienst. Für unsere armen Brüder, heißt es in der Kollekte. Und dabei bist du's. Hier 'n Groschen, dort 'n Märkchen, und du hast ein weißes Bettchen, der Herr Professor mißt dir selbst den Puls, und deine Ente mit der Nachtpisse trägt ein Pfleger weg, nicht mehr du allein! Ist das ein Leben? Und du wolltest in 'n Knast, kleiner Dummer! Bei Fritze biste zu Hause …«
    Peter Kaul schwieg. Er sah sich um. Die ›grüne Minna‹ drehte im Hof und verließ die Anstalt. Das Tor schloß sich hinter ihr, zwei sich zusammensaugende Eisenflügel, die das Leben abschnitten.
    »Ich möchte sterben!« sagte Peter Kaul. »Tut mir einen Gefallen, nur einen einzigen Gefallen: Laßt mich sterben …«
    »Komm erst 'rein und iß was!« Judo-Fritze faßte Peter Kaul unter und trug ihn mehr, als daß er gehen konnte, ins Haus. »Wie kannst du bloß reinen Alkohol verschnasseln? Junge! Überleg doch mal.« Und dann brachte Judo-Fritze einen Witz an, der in der Landesheilanstalt berühmt war und sogar unter Ärzten gehandelt wurde: »Reiner Alkohol! Wenn du einen läßt, ist ja deine Umgebung besoffen …«
    Peter Kaul lachte nicht. Aus großen, traurigen Augen sah er den meckernden, über den eigenen Witz außer sich geratenen Pfleger an. Dann zupfte er ihn am Ärmel des weißen Kittels, so wie ein Hund sich mit einem Nasenstüber bemerkbar macht.
    »Ich bin müde«, sagte er.
    »Sofort, mein Junge. Dein Bettchen wartet schon. Nur noch das Klistier. Du weißt: Ein leerer Darm zur rechten Zeit, ist Gipfel der Gemütlichkeit! Gehn wir.«
    Wehrlos, mit halb geschlossenen Augen, ein Stück Fleisch nur, ließ Peter Kaul alles mit sich geschehen. Er bückte sich nach vorn, bekam sein Klistier, hörte, wie Judo-Fritze in alter Landsermanier dabei rief: »Aber nicht gurgeln!«, entleerte sich (Weißkohl mit Frikadelle hatte es gegeben, Frikadelle mehr Brötchenteig als Fleisch, Kohl etwas säuerlich, aber das konnte Absicht sein, vielleicht war der Gefängniskoch ein Ostpreuße), »brav, brav, der Mann!« sagte Judo-Fritze, ein Glas Wasser, darin ein Pulver, Verekelungsmittel nannte man die Droge, man soff das Wasser, und wenn man hinterher Alkohol roch, kotzte man, ab ins Bad, warm gebraust, Kontrolle der Geschlechtsteile mit Judo-Fritzens Kommentar: »Man muß alle Ecken fegen!«, Empfang des Schlafanzuges, gestreift, mit Monogramm auf der Brust, LHA, wie ein auf einen Hinrichtungsanzug genähter Stoffetzen: Seht, hier ist das Herz. Feuer! Und dann endlich das Zimmer, das Bett, eine weiche Matratze, ein Laken, eine Decke in einem Bezug,

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