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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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grausam, daß sie im Bett hochfuhr und beide Hände gegen den Mund preßte.
    Er tötet mich … das war alles, was sie denken konnte. Immer nur: Er tötet mich … er liebte mich und tötet mich … er liebte mich und tötet mich … er liebte mich …
    Einmal war das anders, da wollte sie sterben. Das war damals in Rimini. Franco hieß er. Franco Tellucci. Schwarze Locken, Hakennase, krause Wolle auf der Brust, Muskeln an den Armen, ein goldenes Medaillon zwischen den Brustwarzen, Bild einer Madonna, das er auch nicht abnahm, wenn er auf ihr lag, sondern er schleuderte es auf den Rücken, diesen herrlichen Rücken, auf dem die Muskeln wie Stränge aufquollen, wenn er liebte, und seine Haut, braun und glatt, sich mit heißem, herb riechendem Schweiß überzog. Zwei Wochen in Sonne und Sand, zwischen Felsen und auf dem schaukelnden Boden eines Ruderbootes, im Pinienhain und im Keller des Ristorante Dante, wo Franco als Laufbursche arbeitete. Zwei Wochen Wüstenwind über dem Körper, und dann sagte er: »Arrivederci, Bionda … du immer dasselbe! Isch liebe jetzt Babette. Die gibt fünfhundert Lire dafür …«
    Das Herz zersplitterte. Wein her! Schweren Wein aus Ancona und Sizilien. Und Apéritifs! Und Schnaps! Eine Woche lang … am Morgen betrunken, am Abend, immer! Dazwischen Pausen, in denen man sich erbrach, sich die Galle auskotzte, der Magen bis zum Schlund zuckte … und dann wieder trinken, um zu vergessen, um sich zu betäuben, um die Lust abzutöten, die in den Lenden zuckte, Lenden, die gewohnt waren, sich unter zärtlichen streichelnden Fingern zu öffnen wie überfließende Schleusen. Und dann der Gedanke, einmal, ganz plötzlich, auf einer Klippe am Meer, unter sich das Rauschen der Brandung: Schluß jetzt! Sterben! Aufhören mit Trinken und Kotzen, mit zitterndem, ungestilltem Schoß, mit Sehnsucht nach Wärme. Hinab in die Tiefe. Aus! Ende! Ruhe!
    Gott sei bei mir! Welche Lust, zu fliegen …
    Im Hospital von Rimini wachte sie auf. Zerschunden, mit Prellungen und blauen Flecken. Aber lebend. Unverletzt. Und Durst. Brennendem Durst. Flammendem Durst. Durst, der die Eingeweide zerriß. Sie bestach einen Krankenpfleger, bekam Wein, süßen, klebrigen Likör, trank und trank und wurde nach einer Woche aus dem Krankenhaus geworfen, weil sie nackt durch die Gänge tanzte.
    Das war vor einem Jahr. In den großen Ferien! Italia bella! Mach dir ein paar frohe Stunden, liebe einen Papagallo! Dolce vita – dolce morte – wie sich beides gleichen kann!
    Aber jetzt war das vorbei. War Erinnerung, verblassendes Abenteuer. In ihrem Leib wuchs ein Kind. Das Kind Dr. Lindens. Und der Vater schlich sich ins Zimmer und goß Gift in das Glas. Sie starb nicht aus Lust am Sterben, wie damals auf den Klippen am Meer … sie sollte getötet werden. Ermordet! Von der Hand, die sie geküßt hatte, die ihren Schoß gefühlt hatte, die auf ihrer Haut Eindrücke hinterließ, an denen sie sich in den nächsten Tagen vor dem Spiegel weidete und erregte.
    Er will mich töten …
    Dieser Gedanke trieb sie. Nicht die Angst war es, sondern Enttäuschung, Wehmut, Haß, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit.
    Sie schüttete das Glas in das Wachbecken, füllte es neu, spülte es aus, immer und immer wieder. Dann legte sie sich hin, ließ sich das Fieber messen, den Puls fühlen, sprach wenig, nahm die beiden Schlaftabletten und sagte »Gute Nacht, Schwester!«
    Um drei Uhr morgens kletterte sie aus dem Fenster, katzenhaft, lautlos, sah unter sich ein Blumenbeet, sechs Meter tief, weiche Erde, die den Aufprall minderte. Nur sechs Meter … die Klippe war höher … sie sprang, zog die Beine an, landete in den Blumenrabatten, überkugelte sich, rollte auf die Wiese, aber sie war unverletzt und starrte noch im Liegen hinauf zu dem offenen Fenster, das ihr jetzt so hoch, so unendlich entfernt vorkam. Sechs Meter sind also wenig, dachte sie. Man überlebt sie, wenn man auf weiche Erde springt. Gute Erde! Mutter Erde! Geschichtsunterricht, germanische Götter, die Mutter der Welt. Erda heißt sie.
    Sie kroch über die Wiesen wie eine Schlange, bis sie am Rand der Straße lag, eine Privatstraße, die durch einen kleinen Wald zur Chaussee führte. Da sprang sie auf und lief und lief … wie ein gelernter, gut ausgebildeter Infanterist im Manöver … von Baum zu Baum … Deckung, Leute, Deckung! Bauch 'rein, Arsch 'rein, beide Teile braucht man zum Leben! … Der Weg steigt an … die Lichter der Chaussee … der Neonglanz der Freiheit … die

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