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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten!‹ – Er würde pleite gehen! Aber ich muß es, ich muß dort stehen auf der Kanzel oder vor dem Altar, muß mir diese Verlogenheit ansehen, die da vor mir kniet und Gott nur auf den Lippen, aber nicht mehr im Herzen trägt, und ich muß ihnen vorsingen: Misereatur vestri omnipotens Deus, et dimissis peccatis vestris, perducat vos ad vitam aeternam. Amen! – Und ich weiß genau, daß dort Lüge und Trug hockt, die ich als Glauben in Gottes Hände empfehle! Himmel noch mal … was bleibt mir anderes übrig, als zu saufen? Wo soll ich sonst die Stärke hernehmen, vor dem Altar zu stehen? Langemarck, Verdun, Stalingrad, Hiroshima … aber: Lobpreiset den Herrn! Da hilft nur die Flasche, mein Freund, da muß ich den brennenden Saft in den Därmen, den Adern, in den Hirnwindungen und den Nerven spüren, um der starke Pfarrer von St. Christophorus zu bleiben! – Prost!«
    Er nahm Dr. Linden die Flasche wieder weg, er riß sie fast aus dessen Händen, setzte sie an die wulstigen Lippen und trank wie ein Bär im Zirkus die Milchflasche. Nur der Applaus der Masse blieb aus.
    Dr. Linden erhob sich wieder, nachdem er bei der Philippika Merckels auf den Stuhl gesunken war.
    »Wir sind uns einig, Pfarrer!« sagte er mit rauher Stimme. »Ich bin nur gekommen, um mich zu verabschieden. Wo werden wir uns wiedersehen? Im Himmel oder in der Hölle?«
    »Zwischen beiden, im Niemandsland. Dort gehören wir hin!« Pfarrer Merckel lehnte sich gegen seinen geschnitzten Betstuhl. »Wo wollen Sie denn hin?«
    »Sie sagten es! Ins Niemandsland. Ich bin so jämmerlich, vor der Verantwortung zu fliehen.« Er streckte die Hand weit aus. »Ich danke Ihnen, Herr Pfarrer.«
    »Wofür?«
    »Für die Predigt! Ich war gekommen, um zu fragen, ob ich Schluß machen soll. Sie aber haben mir gezeigt, daß es sich lohnt, weiterzuleben. Fangen wir wieder an. Man wird auch in der Gosse gebraucht …«
    »Halt! Bleiben Sie, Doktor!« schrie Pfarrer Merckel. Aber Dr. Linden hatte das Zimmer bereits verlassen. Merckel stolperte ihm nach, erreichte die Tür, als sie gerade zuklappte, und brüllte gegen das dicke Eichenholz: »Hierbleiben!«
    Die Haushälterin stürzte aus der Küche. »Herr Pfarrer«, stotterte sie. »Was ist denn? Mein Gott, wie sehen Sie denn aus? Sie riechen ja nach Schnaps!« Sie schlug die Hände zusammen und starrte gegen die Haustür. »Hat dieser schreckliche Mensch Sie verführt, Herr Pfarrer …?«
    Merckel lehnte sich gegen die Tür und schluckte ein paarmal wie ein auf Land geworfener Fisch. Dann strich er sich die weißen Haare aus dem verquollenen Gesicht und leckte sich über die Lippen.
    »So etwas!« rief die Haushälterin. »So ein verantwortungsloser Mensch. Und er wußte, daß Sie gleich zur Beichte müssen.«
    »Gleich?«
    »In einer halben Stunde, Herr Pfarrer.«
    »Es ist gut!« Pfarrer Merckel tappte in sein Arbeitszimmer zurück. Hinter sich schloß er ab und trank die Flasche leer als stilles Gedenken für Dr. Linden.
    Beichte, dachte er und faltete die Hände über dem Bauch. Im Beichtstuhl sitze ich allein und im Dunkeln.
    Und angelogen werde ich sowieso …
    Nach dem Besuch von Frau und Kindern war in Peter Kaul so etwas wie eine stille Zufriedenheit mit seinem Schicksal eingezogen. Noch dreimal überfiel ihn die unbändige Lust nach Alkohol, spürte er das Brennen in den Eingeweiden, zitterten seine Hände wie im Schüttelfrost, wackelte sein Kopf, als säße er auf einem Spiralhals, würgte er Gallensaft aus sich heraus und hatte den Drang, für ein Glas Bier oder Schnaps jemanden töten zu können. Dann kam Judo-Fritze ohne viele Worte, legte ihn auf den Bauch, gab ihm eine Injektion, ›intrapopolär‹ wie er sie nannte, reichte ihm ein Wasserglas mit einer Flüssigkeit, in die Äther gemischt war, worauf Kaul ein Ekelgefühl bekam, sich krümmte vor Übelkeit und sich so lange erbrach, bis er das Gefühl hatte, den Magen bis zur Mundhöhle hinaufgesaugt zu haben.
    Im übrigen arbeitete er weiter auf dem Bau Judo-Fritzes, legte die Leitungen für Licht und Ölheizung, Waschmaschine und Tiefkühltruhe, lernte die Frau von Judo-Fritze kennen und erfuhr so, daß Fritze mit Nachnamen Kellermann hieß und seine Frau Lucie, ein kleines, zierliches, kapriziöses Ding, das neben dem Riesen Fritz wie der blühende Ableger einer Kaktee aussah. »Wie jefällt se dir?« fragte Fritze, und Kaul antwortete: »Man kann nur gratulieren!« Und Fritze strahlte: »Bei ihr bin ich

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