Privatklinik
gesagt?«
»Frau Kaul wußte es selbst nicht – und ich … mein Beichtgeheimnis …«
»Das ist auch wieder so ein Fall, über den man mit den Kirchenrechtlern diskutieren sollte!« Brosius warf seinen Bleistift auf die Papiere, die seinen Schreibtisch bedeckten. »Ich habe da in meiner Militärzeit etwas erlebt, was ähnlich gelagert war. Viermal riß ein Rekrut von der Truppe aus. Scheußlich war das. Immer diese Meldungen und Tatberichte. Dann sollte der Kerl vor ein Gericht kommen, wegen Fahnenflucht. Und plötzlich war der Divisionspfarrer da und sagte, er verbürge sich für diesen notorischen Ausreißer, nachdem er die Beichte abgenommen habe. Was er gebeichtet habe, könne er nicht sagen. Beichtgeheimnis! Ich kann Ihnen sagen – wir waren starr! Das ganze Offizierskorps war schockiert! Verfahren wurde niedergeschlagen, der Kerl als Paragraph 51 entlassen! Unzurechnungsfähigkeit! Erst später stellte sich heraus, daß sein älterer Bruder bei der Artillerie einen Rohrkrepierer verursacht hatte, beim Manöver, dem zwei Kanoniere zum Opfer fielen. Keiner konnte den Hergang mehr rekonstruieren, nur unser Ausreißer wußte die Wahrheit und hatte nun den Komplex, daß ihm so etwas Ähnliches auch passieren könnte! Da sieht man, wie Schuldkomplexe einen Menschen umhauen können!« Prof. Brosius schnaufte durch die Nase. Die Erinnerung an seine Militärzeit nahm ihn immer mit. Große Zeit das, dachte er. Das letzte Kaisermanöver! Majestät wirkten energiegeladen. Über den Kavallerieangriff auf dem rechten Flügel war er begeistert … nur war da kein Brosius dabei. Die alte Tragik von der schwächlichen Konstitution.
Um drei Uhr wartete Frida Milbach mit ihren fünf Kindern in der Eingangshalle. Judo-Fritze hatte versprochen, sie zu holen, wenn Frau Kaul ihren Mann auf diesen Besuch vorbereitet hätte. So standen sie nun herum, sahen die Ärzte und Schwestern an und lachten über einen harmlosen Geisteskranken, der mit einem Reisbesen den Gartenweg vor der Eingangstür kehrte und ab und zu versuchte, auf dem Stiel des Besens wie auf einer Klarinette zu blasen.
»Laßt das dumme Lachen!« herrschte Frida Milbach ihre Kinder an. »Das ist zum Weinen! Das sind arme Menschen.«
»Ist der Mann, den wir sehen sollen, auch so?« fragte Benno, der Zweitälteste.
»Ich weiß nicht. Ich kenne ihn nicht.« Frida Milbach winkte und versammelte ihre Kinder um sich. »Aber das sage ich euch: Benehmt euch! Und wenn dieser Herr Kaul sonst was anstellt – ihr lacht nicht! Ich haue euch eine runter, wenn ihr euch danebenbenehmt. Verstanden?«
»Ja, Mami!« riefen die fünf im Chor. Ein Arzt blieb ruckartig stehen und sah zu ihnen hin. Dann ging er weiter und schüttelte den Kopf.
Judo-Fritze erschien und winkte. Sein breites Neandertalergesicht grinste. »Er weiß zwar nicht, wer kommt«, sagte er, »aber er freut sich, daß Besuch kommt. Frau Kaul hat nicht gewagt, es ihm einfach zu sagen.«
»Ist … ist er völlig klar?« fragte Frida Milbach zögernd.
»Klar? Das ist er doch immer! So vernünftig wie Sie und ich. Nur wenn er säuft … aber hier gibt's ja nichts. Kommen Sie!«
Peter Kaul saß am Tisch und aß Pudding mit Erdbeersoße, den ihm Susanne mitgebracht hatte. Kaul war glücklich. Prof. Brosius hatte ihn gelobt, Judo-Fritze war ein wirklicher Freund geworden, der ihm heimlich Zigaretten holte, die er dann auf dem Klosett rauchte und den Rauch durch das kleine, vergitterte Fenster blies, Susanne war gekommen mit dem herrlichen Pudding … es war eigentlich ein schönes Leben. Nur die Freitage waren noch immer eine Qual. Als sei in ihm eine Uhr, die am Freitag einen Kontakt auslöste und Feuer durch sein Hirn jagte, so kam ihm das selbst vor. Dann stand er oft am Gitter, verging vor Durst und Sehnsucht nach einem Glas Alkohol und bettelte Judo-Fritze an, seine große Freundschaft zu beweisen, indem er ein Gläschen bringe, nur ein winziges Gläschen … nicht einmal Schnaps, nur ein Bier, ein Tröpfchen Bier, einen Hauch von Alkohol. An diesen Freitagen bekam Kaul dann seine Injektionen, die ihn beruhigten und in einen Dämmerschlaf versenkten. Am Samstag war dann alles vorbei, aber er kam sich gerädert vor, als habe er wirklich die ganze Nacht getrunken. Er saß dann im Bett, trank Sprudelwasser flaschenweise, weil er einen wirklichen Nachdurst spürte, war benommen und knurrig, manchmal weinerlich und fast kindisch und philosophierte mit Judo-Fritze darüber, wie sinnlos es sei, zu leben, und welch ein
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