Privatklinik
die man nach ihrer Form gliedert: Knospenbrust, Birnenbrust und Scheibenbrust. – Das gab ein Gaudium! Geflügeltes Wort im Kolleg: Herr Kollege – dort naht eine halbreife Birne!
Karneval im Herbst. Wer trinkt, hat immer Karneval. Nur der Ausdruck ist falsch. Karneval heißt: Fleisch, lebe wohl. Saudumm so etwas, nicht wahr? Fleisch, komm her! sollte es heißen. Im Alkohol werden die Hexen zu Elfen, die Runzeln zu Grübchen. Die Welt ist herrlich! Gott ist ein großer Mann: Er schuf nur Schönes! In vino veritas! Man legt es immer falsch aus! Von Wahrheit redet man … Illusionen sind die Krönung! Vergessen! Sich wegwerfen. Juchheisassa – alles wird groß, nur die Welt schrumpft zusammen … sie wird klein, so klein, daß sie in eine Flasche paßt …
Bis zur Dunkelheit saß Dr. Linden am Rhein, den Koffer neben sich. Dann schwankte er zum Taxenplatz, ließ sich in die Polster fallen und lallte: »Zu einer Bleibe, mein Sohn. Wohin, ist egal. Nur, wo man pennen kann! Und wo man nicht 'rausfliegt, wenn man säuft!« Er legte dem Taxenfahrer einen Fünfzigmarkschein auf die Mütze, lehnte sich zurück und sang das Lied von der Marie, die tat es nie, wenn Föhn vom Berg wehte …
So kam Dr. Konrad Linden, ein Genie der Hirnchirurgie, in die Pension ›Blades‹. Sie lag in einer Altstadtgasse, nicht weit vom Rhein. Das Haus war graurot, hatte den Krieg mit einigen Bombensplittern überstanden, im Treppenhaus roch es muffig und schweißig, die Holzstufen knarrten, und sie knarrten in der Nacht oft und anhaltend, denn in den siebzehn Zimmern wechselten die Gäste stundenweise. Emmerich Blades, der Pensionswirt, war Mann für alles … er hielt die Zimmer sauber, kassierte drei Mark extra, wenn die Besucher mit den Schuhen ins Bett gingen (»Ein richtiger Kavalier behält nur den Trauring an!« war eine seiner Weisheiten), er verprügelte Gäste, die nach vollbrachter Tat um den Preis handeln wollten, und schlug bei unsicheren Lüstlingen (man erkennt sie bei einiger Übung am unsicheren Blick) Vorauskasse vor – kurzum, Dr. Linden bekam Zimmer zehn, wurde von Emmerich Blades und seiner Frau Henny, die sich Morphium spritzte und für fünfzig Mark Salome mit den sieben Schleiern spielte, ins Bett getragen und zugedeckt.
Am nächsten Morgen saßen Emmerich und Henny Blades an seinem Bett und begrüßten ihn mit einem fröhlichen »Guten Morgen, Herr Doktor!« Als vorsichtige Wirte hatten sie die Brieftasche des neuen Gastes inspiziert, den Paß mit großem Erstaunen gelesen und – ebenfalls als reelle Wirte – die Geldbündel unberührt gelassen. Sie hatten lediglich zweihundert Mark entnommen, gegen Quittung, auf der korrekt stand: »Miete für eine Woche dankend erhalten. Pension Blades, Köln.« Dr. Linden stützte sich auf den Ellenbogen. Er sah in Hennys glänzende Augen. Starre Pupillen, dachte Linden. Sie spritzt sich Morphium. Und der Mann. Aufgedunsen, mit hängenden Tränensäcken, dicke Lippen, ein fades Lächeln … er säuft und er hurt.
Dr. Linden ließ sich zurückfallen. Am Ziel, dachte er. Jetzt sind wir da, wo das Vogelfreie die einzige Legitimation ist. Der Mensch, entkleidet von allen zivilisatorischen Behängen. Der nackte Mensch! Seelisch nackt … die körperliche Nackheit wirkt betörend. Aber seelisch nackt? Gott im Himmel, ein Tier hast du vollkommener gemacht!
»Ein Gläschen, Herr Doktor?« fragte Emmerichs Stimme.
»Ja, bitte.«
Ein Glas. Er umklammerte es. Ein Schluck. Der erste auf den tobenden Brand in seinen Eingeweiden. Wermut! Natürlich, nur noch das! Schnaps wird auf die Dauer zu teuer. Aber dieser billige Wermut hat die gleiche Wirkung. Und noch etwas hat er in sich … er enthemmt! Er macht die Zivilisation zum Popanz. Er sengt die letzten Zipfelchen der Scham weg. Ein Wermutsäufer … juchhei, wer hindert ihn daran, sich vor einem Kaffeekränzchen auf der Terrasse des Cafés die Hose herunterzuziehen? Polizei! Einsperren! Im Winter ist das gut – da hat man's warm. Und im Sommer, da läuft man wie ein Wieselchen weg!
Dr. Linden trank in zwei langen Zügen das Glas leer. Der Brand in den Därmen ließ nach … auch sein Gehirn wurde klarer, er sah keine Nebel mehr, die sich drehten und in denen die starren Pupillen von Henny Blades schwammen wie riesige Quallen. Er unterschied die Dinge seiner neuen Umgebung.
Ein Fenster, schmutzige gelbe Gardinen, ein Eisenbett, ein Spind, ein Waschbecken, ein Stuhl, ein Tisch, ein Bettvorleger aus Schafwolle (Zimmer zehn war das
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