Professionelle Intelligenz - worauf es morgen ankommt
Himstedt. Noch heute denke glücklich daran – da stand »meine Bildung«. Weil ich eine Klasse übersprungen hatte und mit 17 Jahren Abitur machte, musste ich immer verhandeln, ob ich Bücher lesen durfte, die nicht zu meinem biologischen Alter passten … Edgar Allan Poe oder absurdes Theater waren ziemlich schwierig zu erhalten, da musste ich bei der Bibliothekarin längere Begründungen abgeben.
Das ist nun wirklich nur vierzig Jahre her! Inzwischen haben wir alles, aber auch alles im Netz. Ich bin dafür sehr dankbar, dass ich das erleben durfte. Sie nicht? Vielleicht wissen Sie das nicht mehr – sind Sie ein Digital Native? Dann sollten Sie sich in diese vergangene Zeit hineinversetzen und verstehen, wie erschrocken sehr viele Ältere über das Internet sind. Neulich wurde im Handelsblatt ein ungenannt gebliebener höherer Beamter zitiert, der unwirsch auf Forderungen der Öffentlichkeit reagierte, überall Breitbandnetze zu ziehen. »Mehr als 2 MB braucht niemand, und mehr eigentlich nur, um Pornofilme downzuloaden.« Die gab es früher gar nicht, Sünden wurden viel seltener virtuell begangen.
Fast nach jeder Rede von mir über Bildung überfällt mich geradezu ein aufgebrachter Analog Exile, der die gesamte jüngere Generation für absolut zu unreif hält, sich im Netz sicher zu bewegen. »Die können den Trash nicht von dem Wertvollen unterscheiden. Die glauben jeden Quatsch, der da geschrieben steht.« Ich versuche dann, unsere Boulevardpresse und Dschungelcamps dagegenzuhalten – keine Chance. Die Älteren sehen im Internet nur Gefahren. »Die lernen nichts mehr! Nichts! Die schreiben ihre Hausaufgaben nur ab.«
Die Emotionalität ist erstaunlich. Man sitzt einfach nur lieber in einem gut bekannten Sumpf als in einem noch unvertrauten?!
Im Phaidros-Dialog Platons stellt Teuth die Erfindung der Schrift vor – diese kommentiert Ägyptens König Thamus so:
[…] diese Kunst wird Vergessenheit schaffen in den Seelen derer, die sie erlernen, aus Achtlosigkeit gegen das Gedächtnis, da die Leute im Vertrauen auf das Schriftstück von außen sich werden erinnern lassen durch fremde Zeichen, nicht von innen heraus durch Selbstbesinnen. Also nicht ein Mittel zur Kräftigung, sondern zur Stützung des Gedächtnisses hast du gefunden. Und von Weisheit gibst du deinen Lehrlingen einen Schein, nicht die Wahrheit: wenn sie vieles gehört haben ohne Belehrung, werden sie auch viel zu verstehen sich einbilden, da sie doch größtenteils nichts verstehen und schwer zu ertragen sind im Umgang, zu Dünkelweisen geworden und nicht zu Weisen.
Sehen Sie? Das ist Medienkritik aus der griechischen Antike: Man soll nicht nur lesen, sondern auch verstehen und gecoacht werden. Diese Bedenken von Platon gelten natürlich auch heute! Aber immerhin haben wir jetzt alle das Wissen im Netz, in Bangladesch, in Kenia, im Sudan und in Libyen – überall! Wir haben nicht nur Schrift im Netz, auch Kurse, Videos, Spiele, Diskussionsforen, Xing und Facebook. Google macht alles zugänglich. Ja, und wer gebildet sein will, muss alles diskutieren und verstehen.
Je mehr ich in den letzten Jahren über das Internet staune, desto nachdrücklicher denke ich: Wenn wir nun alle Vorlesungen von Sigmund Freud, Max Planck, Albert Einstein, Emmy Noether, Bertold Brecht, Friedrich Hegel, Arthur Schopenhauer, Erich Fromm, Thomas Mann, Lou von Salomé, Karl Jaspers, Max Weber, Paul Watzlawick und so weiter im Internet hätten – müsste man uns dann noch stark belehren? Könnten wir die heute maßgebenden Menschen nicht moralisch verpflichten, ein Jahr Pause dafür zu machen, alle Grundvorlesungen einer Wissenschaft vor der Kamera zu halten? Natürlich nur diejenigen, die gute Vorlesungen halten! Und immer mal wieder, wenn sich das Wissen und die Wissenschaft neu entwickelt haben.
Ich frage also direkt, ob irgendein Durchschnittslehrer plus Text so viel geben kann wie diese leuchtenden Sterne der Menschheit ganz direkt. Für mich ist die Antwort NEIN, ich bin aber auch mehr Einzelarbeiter und -denker. Wenn das aber allgemein so ist, dann könnte uns das Internet im Prinzip mehr geben als jeder Mensch.
Bildung bedeutet, das Wertvolle einer Kultur zu kennen – und dieses Wertvolle ist jetzt praktisch frei verfügbar, während früher meine Welt des Wertvollen auf die Schülerwarteraumbibliothek beschränkt war.
Der Computer geht auf mich ein – Lernstile und personalisierte Lernziele
Fast alle (oder alle großen) Bildungs- und
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