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Professor Bingos Schnupfpulver

Professor Bingos Schnupfpulver

Titel: Professor Bingos Schnupfpulver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Einzelgänger, und in Londoner Clubs muß man sich nicht unterhalten. Eben deshalb geht man ja hin.
    Mr. Sutton-Cornish kam mit ein wenig schwerer Zunge zum Tee nach Hause, das erste Mal seit fünfzehn Jahren. Da saß er nun verdutzt oben im Wohnzimmer, hielt seine Tasse lauwarmen Tee und nahm sich in der Erinnerung das Gesicht des Mannes nochmals vor, machte es jünger und pausbäckiger, ein Gesicht, das zu einem Etonkragen oder einer Mütze der Cricketmannschaft hätte passen können.
    Plötzlich hatte er's und er kicherte. Auch das hatte er seit etlichen und anderen Jahren nicht mehr getan.
    »Llewellyn, meine Liebe«, sagte er. »Llewellyn Junior. Hatte noch einen älteren Bruder. Im Krieg gefallen, bei der bespannten Artillerie.« Mrs. Sutton-Cornish starrte ihn ausdruckslos über den üppig bestickten Teewärmer hinweg an. Ihre kastanienbraunen Augen waren stumpf vor Geringschätzung – vertrocknete Kastanien, keine frischen. Der Rest ihres großflächigen Gesichts wirkte grau. Auch der späte Oktobernachmittag war grau, und ebenso die schweren, in tiefe Falten gelegten und mit Monogrammen bestickten Vorhänge vor den Fenstern. Sogar die Ahnenbilder an den Wänden waren grau – alle bis auf den Schlimmen, den General.
    Das Kichern erstarb in Mr. Sutton-Cornishs Kehle. Dafür sorgte das lange graue Anstarren. Dann erschauerte er sacht, und da er nicht mehr ganz nüchtern war, tat seine Hand einen jähen Ruck. Er schüttete seinen Tee auf den Teppich, fast anmutig, mitsamt der Tasse.
    »Verflixt«, sagte er dumpf. »Tut mir leid, meine Liebe. Knapp an der Hose vorbei. Tut mir schrecklich leid, meine Liebe.«
    Eine Minute lang gab Mrs. Sutton-Cornish nur einen Ton von sich: eine beleibte Frau, die atmet. Dann begann plötzlich alles an ihr zu klimpern – zu klimpern, zu knistern, zu ächzen. Sie war voll seltsamer Geräusche, wie ein Spukhaus, aber Mr. Sutton-Cornish schauderte, denn er wußte, daß sie vor Wut bebte.
    »Ah-h-h«, atmete sie nach einer langen Pause ganz, ganz langsam aus, wie immer das verkörperte Exekutionskommando. »Ah-h-h. Betrunken, James?«
    Zu ihren Füßen regte sich unversehens etwas. Teddy, der Spitz, hörte auf zu schnarchen, hob den Kopf und witterte Blut. Er stieß ein kurzes, schnappendes Kläffen aus, quasi zum Einschießen, und kam watschelnd auf die Füße. Seine vorquellenden braunen Augen starrten Mr. Sutton-Cornish bösartig an.
    »Ich werde wohl besser klingeln, meine Liebe«, sagte Mr. Sutton-Cornish ergeben und stand auf. »Oder nicht?«
    Sie antwortete ihm nicht. Sie sprach statt dessen mit Teddy, ganz sanft. Eine Art teigiger Sanftheit, mit sadistischem Unterton. »Teddy«, sagte sie sanft, »sieh dir diesen Mann an. Sieh dir diesen Mann an, Teddy.«
    Mr. Sutton-Cornish sagte mühsam: »Nun hetz ihn nicht auf mich, Liebste. Hetz ihn nicht auf mich, bitte, meine Liebe.«
    Keine Antwort. Teddy lauerte, äugte scheel herüber. Mr. Sutton-Cornish wandte gewaltsam den Blick ab und schaute auf den schlimmen Ahnherrn, den General. Der General trug eine scharlachrote Uniform mit schräg übergelegter blauer Schärpe, gleichsam einer finsteren Schranke. Er hatte die gerötete Gesichtsfarbe, wie sie Generäle zu seiner Zeit zu haben pflegten. Er hatte eine Menge sehr kitschig wirkender Orden und einen unverschämten Blick, das trotzige Starren eines unbußfertigen Sünders. Der General war kein Tugendbold gewesen. Er hatte mehr Ehen zerstört, als er Duelle ausgefochten hatte, und er hatte mehr Duelle ausgefochten, als er Schlachten gewonnen hatte, und er hatte viele Schlachten gewonnen.
    Zu dem kühn geäderten Gesicht aufblickend, wappnete sich Mr. Sutton-Cornish, bückte sich dann und nahm ein kleines dreieckiges Häppchen vom Teetisch.
    »Da, Teddy«, stieß er hervor. »Fang, Bursche, fang auf!«
    Er warf das Häppchen. Es fiel vor Teddys kleine braune Pfoten. Teddy beschnüffelte es lustlos und gähnte. Er bekam sonst seine Mahlzeiten auf Porzellangeschirr serviert, nicht vorgeworfen. Mit Unschuldsmiene trollte er sich bis zur Teppichkante und fiel jählings mit wütendem Knurren darüber her.
    »Das bei Tisch, James?« sagte Mrs. Sutton-Cornish bedächtig und drohend.
    Mr. Sutton-Cornish trat auf seine Teetasse. Sie zersprang in dünne helle Späne feinen Porzellans. Er schauderte wieder.
    Doch nun genug. Rasch schritt er zur Klingel. Teddy ließ ihn beinahe hingelangen, während er noch immer so tat, als zause er die Teppichfransen. Dann spie er ein Fransenende aus und

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