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Professor Bingos Schnupfpulver

Professor Bingos Schnupfpulver

Titel: Professor Bingos Schnupfpulver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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griff geduckt und lautlos an, die kleinen Füße federleicht im Teppichflor. Mr. Sutton-Cornish faßte gerade nach der Klingel.
    Kleine blanke Zähne zerrten flink und geübt an einer perl-grauen Gamasche.
    Mr. Sutton-Cornish schrie hell auf, machte eine behende Drehung – und trat zu. Sein eleganter Schuh blinkte im grauen Licht auf. Etwas Seidiges, Braunes segelte durch die Luft und landete röchelnd.
    Dann entstand im Zimmer eine ganz unbeschreibliche Stille, wie die Stille im innersten Raum eines Kühlhauses um Mitternacht. Teddy winselte einmal kunstfertig, kroch mit dicht an den Fußboden gepreßtem Körper davon, kroch unter Mrs. Sutton-Cornishs Stuhl. Ihre lilabraunen Rockfalten bewegten sich, und Teddys Kopf tauchte langsam daraus hervor, von Seide umrahmt, der Kopf eines bösen alten Weibs mit einem Schal um das Haar.
    »Hatte das Gleichgewicht verloren«, murmelte Mr. Sutton-Cornish, an den Kamin gelehnt. »War nicht so gemeint ... würde nie mit Absicht –«
    Mrs. Sutton-Cornish erhob sich. Sie erhob sich mit einer Miene, als sammle sie ihr Gefolge um sich. Ihre Stimme war das kalte Blöken eines Nebelhorns auf einem eisigen Fluß.
    »Chinverly«, sagte sie. »Ich fahre sofort nach Chinverly. Auf der Stelle. Noch in dieser Stunde ... Betrunken! Ekelhaft betrunken am hellichten Nachmittag. Kleine wehrlose Tiere zu treten. Schändlich! Unsagbar schändlich! Mach die Tür auf!«
    Mr. Sutton-Cornish schwankte durch den Raum und öffnete die Tür. Sie ging hinaus. Teddy trottete neben ihr her, an der Mr. Sutton-Cornish abgewandten Seite, und ausnahmsweise machte er nicht den Versuch, sie auf der Schwelle über ihn stolpern zu lassen.
    Draußen drehte sie sich um, gemächlich, wie ein Passagierdampf er beidreht.
    »James«, sagte sie, »hast du mir etwas zu sagen?«
    Er kicherte – vor purer Überreizung der Nerven.
    Sie schaute ihn mit einem fürchterlichen Blick an, wandte sich wieder um, sagte über die Schulter: »Das ist das Ende, James. Das Ende unserer Ehe.«
    Mr. Sutton-Cornish sagte schockierenderweise: »Großer Gott, meine Liebe – sind wir denn verheiratet?«
    Sie machte erneut Anstalten, sich umzudrehen, unterließ es aber. Ein Laut, als werde jemand in einem Verließ erdrosselt, entwich ihr. Dann schritt sie weiter.
    Die Zimmertür klaffte wie ein gelähmter Mund. Mr. Sutton-Cornish stand dicht davor und horchte. Er rührte sich nicht, bis er im Obergeschoß Schritte hörte – schwere Tritte – die ihren. Er seufzte und sah auf seine zerfetzte Gamasche hinunter. Dann schlich er treppab, in sein langes schmales Arbeitszimmer neben der Eingangshalle, und ging an den Whisky.
    Er nahm die Geräusche der Abreise kaum wahr: Gepäckschleppen, Stimmen, das vibrierende Brummen des großen Autos vor der Tür, Stimmen, das letzte Kläffen aus Teddys rostiger alter Kehle. Allmählich wurde das Haus ganz still. Die Möbel warteten, gleichsam hämisch lauernd. Draußen glühten im leichten Nebel die Straßenlampen auf. Taxis fuhren hupend die nasse Straße entlang. Das Feuer im Kamin verglomm.
    Mr. Sutton-Cornish stand davor, leicht schwankend, und betrachtete im Wandspiegel sein langes graues Gesicht.
    »Gehen wir ein wenig spazieren«, flüsterte er gequält. »Du und ich. War ja sonst nie jemand da, oder?«
    Er stahl sich in die Halle hinaus, ohne daß ihn Collins, der Butler, hörte. Er legte Schal und Mantel an, setzte sich den Hut auf, griff nach Stock und Handschuhen und trat lautlos in die Dämmerung draußen.
    Er stand ein Weilchen auf der untersten Stufe der Vortreppe und sah am Haus hinauf. Grinling Crescent Nr. 4. Seines Vaters Haus, seines Großvaters Haus, seines Urgroßvaters Haus. Alles, was ihm geblieben war. Das übrige gehört ihr. Sogar die Kleider, die er am Leibe trug, das Geld auf seinem Bankkonto. Aber das Haus gehörte ihm noch immer – mindestens dem Namen nach.
    Vier weiße Stufen, so makellos wie die Seele einer Jungfrau, führten zu einer apfelgrünen Kassettentür, sauber gestrichen, wie man vor langer Zeit, im Zeitalter der Muse, noch Dinge anzustreichen pflegte. Sie hatte einen Messingklopfer und ein Schnappschloß über der Klinke und eine Klingel, die man drehte, statt sie zu drücken oder zu ziehen, und die läutete gleich hinter der Tür, eigentlich lächerlich, wenn man es zum ersten Mal hörte.
    Er wandte sich um und sah über die Straße weg zu dem umgitterten, stets verschlossenen kleinen Park hinüber, wo an sonnigen Tagen die herausgeputzten Kinderchen aus der

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