Professor Bingos Schnupfpulver
Welt nichts gemein. Sie war ein Gespenst, eine Tiefenschicht der Zeit, die Urschrift auf einem Psalimpsest, einem doppelt beschriebenen Pergament, mittels utravioletten Lichts im verdunkelten Raum lesbar gemacht.
»Ach ja«, sagte er zum Rumpf des Pferdes, weil er sich sonst niemanden zuwenden konnte, »man könnte so manches erleben, wenn man den Dingen einfach ihren Lauf ließe.«
Die lange Peitsche zuckte um Princes Ohren herum, so behende wie die künstliche Fliege an einem kleinen düsteren Forellenwasser unter einem Felsen hervorschnellt.
»Es ist schon passiert«, setzte er dumpf hinzu.
Die Droschke kam an der Bordsteinkante zum Stehen, und die Klappe hinter Mr. Sutton-Cornish flog wieder auf.
»Da wären wir, Sir. Wie wär's mit einem kleinen französischen Abendessen für achtzehn Pence? Sie wissen schon, Sir. Sechs Gänge, und nichts auf dem Teller. Ich spendier' Ihnen eins, und dann Sie mir, und am Ende sind wir beide noch hungrig. Na, wie wär's?«
Eine eiskalte Hand umklammerte Mr. Sutton-Cornishs Herz. Ein Essen mit sechs Gängen zu achtzehn Pence? Ein Droschkenkutscher, der fragte: »Was für'n Krieg, Sir?« Vor zwanzig Jahren, nun gut ...
»Lassen Sie mich hier aussteigen!« gebot er schroff. Er stieß die Türen auf, drängte dem Gesicht in der Öffnung Geld auf, sprang über das Rad auf den Bürgersteig hinab.
Er verfiel nicht gerade in Laufschritt, aber er ging recht schnell, dicht an einer dunklen Mauer entlang und ein wenig verstohlen. Doch nichts verfolgte ihn, nicht einmal das Klapp-Klapp der Pferdehufe. Er bog um eine Ecke in eine schmale, belebte Straße ein.
Das Licht fiel aus der offenen Tür eines Ladens. »KURIOSA UND ANTIQUITÄTEN« hieß es auf der Fassade, in einstmals vergoldeten Lettern, altmodisch verschnörkelt. Auf dem Bürgersteig war eine Blinklaterne aufgestellt, um Passanten anzulocken, und in ihrem Schein las er das Schild. Die Stimme kam von innen, von einem rundlichen kleinen Mann, der auf einer Kiste stand und über die Köpfe einer Schar stummer, gelangweilter, fremdartig aussehender Männer hinweg seinen Singsang herunterleierte. In der leiernden Stimme lag ein Unterton von Erschöpfung und Resignation.
»Nun, meine Herren, was ist Ihr Gebot? Was bieten Sie für dieses herrliche Exemplar orientalischer Kunst? Ein Pfund Sterling ist das Mindestgebot, meine Herren. Eine Pfundnote, ganz reell. Nun, wer bietet ein Pfund, meine Herren? Wer bietet ein Pfund?«
Niemand sagte etwas. Der rundliche kleine Mann auf der Kiste schüttelte den Kopf, wischte sich mit einem schmutzigen Taschentuch übers Gesicht und holte tief Atem. Dann sah er Mr. Sutton-Cornish am Rand der kleinen Gruppe stehen.
»Wie wär's mit Ihnen, Sir?« hakte er ein. »Sie sehen genau so aus, als hätten Sie 'n Landhaus. Und die Tür hier ist für so'n Landhaus wie geschaffen. Wie wär's mit Ihnen, Sir? Machen Sie mir mal eben ein Gebot.«
Mr. Sutton-Cornish blinzelte zu ihm auf. »Wie? Was soll das?« stieß er hervor.
Die teilnahmslosen Männer lächelten schlaff und sprachen miteinander, ohne die dicken Lippen zu bewegen.
»War nicht böse gemeint, Sir«, krächzte der Auktionator schrill. »Wenn Sie 'n Landhaus hätten, dann wär' die Tür da vielleicht genau das, was Sie brauchen könnten.«
Mr. Sutton-Cornish wandte langsam den Kopf, um der ausgestreckten Hand des Auktionators zu folgen, und sah zum ersten Mal die Bronzetür.
3
Sie stand ganz für sich an die linke Wand des nahezu leeren Ladens gelehnt. Sie stand etwa zwei Fußbreit vor der Wand, auf einem eigenen Fundament. Es war eine Flügeltür, offenbar aus Bronzeguß, obwohl dies in Anbetracht ihrer Größe undenkbar schien. Sie war über und über mit schnörkeligen Reliefs bedeckt, ein Wirrwarr arabischer Schriftzeichen, eine endlose Geschichte, die hier keinen Leser fand, eine Prozession aus Häkchen und Punkten, die alles hätten bedeuten können: von einer Sammlung Koran-Suren bis zu den Statuten eines wohlorganisierten Harems.
Die beiden Türflügel waren nur Teil des Ganzen. Die Tür besaß unten ein breites, schweres Fundament und darauf einen Rahmen, den ein maurischer Bogen krönte. Dort, wo die Flügel aneinanderstießen, ragte ein mächtiger Schlüssel aus einem mächtigen Schlüsselloch, ein Schlüssel, wie ihn ein Gefängniswärter im Mittelalter in seinem gewaltigen, rasselnden Schlüsselbund am Ledergurt um den Leib zu tragen pflegte. Ein Schlüssel wie aus einer komischen Oper.
»Oh, ... das«, sagte Mr.
Weitere Kostenlose Bücher