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Professor Bingos Schnupfpulver

Professor Bingos Schnupfpulver

Titel: Professor Bingos Schnupfpulver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Nachbarschaft auf den glatten Wegen spazierengingen, rund um den kleinen Zierteichen, an den Rhododendronbüschen vorüber, immer an der Hand ihrer Kindermädchen.
    Er sah sich das alles ein wenig trübsinnig an, dann reckte er sich in den mageren Schultern und schritt in die Dämmerung hin. Er dachte an Nairobi und Papua und Tongatabu, an den Mann in der verschossenen Schulkrawatte, der alsbald wieder an den Ort, wo auch immer er herkam, zurückkehren und dort im Dschungel wach liegen und an London denken würde.

2
     
     
    »Droschke, Sir?«
    Mr. Sutton-Cornish verhielt den Schritt, blieb am Randstein stehen und starrte. Die Stimme kam von oben, eine jener vom Wind ausgedörrten, bierseligen Stimmen, wie man sie nicht mehr allzu oft hört. Sie kam vom Kutschbock eines zweirädrigen Einspänners.
    Die Droschke war aus der Dunkelheit gekommen, auf hohen gummibereiften Rädern schlurfte sie beflissen die Straße entlang, und dazu machten die Pferdehufe ein bedächtiges, eintöniges Klapp-Klapp, das Mr. Sutton-Cornish erst aufgefallen war, als ihn der Kutscher anrief.
    Die Droschke sah richtig echt aus. Das Pferd hatte abgewetzte schwarze Scheuklappen und das charakteristische Aussehen eines Droschkengauls: gut genährt, aber doch irgendwie verwahrlost. Die halbhohen Wagenschläge waren zurückgeklappt, und Mr. Sutton-Cornish konnte innen die gesteppte graue Polsterung sehen. Die langen Zügel waren voller Risse, und als sein Blick an ihnen hinaufglitt, sah er den bulligen Kutscher, den breitrandigen Zylinder auf seinem Kopf, die übergroßen Knöpfe am Oberteil seiner Livree und die recht abgetragene Decke, die seinen Unterkörper um und um einhüllte. Die lange Peitsche hielt er leicht und elegant, wie ein Droschkenkutscher mit einem Einspänner seine Peitsche halten sollte.
    Das Dumme war nur, daß es gar keine Pferdedroschken mehr gab.
    Mr. Sutton-Cornish schluckte, streifte einen Handschuh ab und streckte die Hand aus, um das Rad zu berühren. Es fühlte sich ganz kalt an, ganz massiv, naß vom schmierigen Asphalt der Stadtstraßen.
    »Glaube kaum, daß ich seit dem Krieg so ein Ding gesehen habe«, sagte er laut und sehr bestimmt vor sich hin.
    »Was für'n Krieg, Sir?«
    Mr. Sutton-Cornish erschrak. Noch einmal berührte er das Rad. Dann lächelte er, und langsam und sorgfältig zog er den Handschuh wieder über.
    »Ich möchte einsteigen«, sagte er.
    »Stillhalten, Prince«, keuchte der Kutscher schnaufend.
    Das Pferd zuckte verächtlich mit dem langen Schweif. Mr. Sutton-Cornish legte seinerseits dem Kutscher nahe, stillzuhalten, und stieg über das Rad auf, ziemlich unbeholfen, denn diese Fertigkeit war einem nach so vielen Jahren ganz abhandengekommen. Er legte die Klapptüren vor sich zusammen und lehnte sich in den Sitz mit seinem angenehmen Geruch nach ledernem Pferdegeschirr.
    Die Klappe über seinem Kopf öffnete sich, und die große Nase des Kutschers und seine Säuferaugen gaben in der Öffnung ein unglaubliches Bild ab, wie ein Tiefseefisch, der einen durch die Glaswand eines Aquariums anstarrt.
    »Wohin, Sir?«
    »Tja ... Soho.« Es war das ausgefallenste Ziel, das ihm in den Sinn kam – für die Fahrt mit einer zweirädrigen Droschke. Die Augen des Kutschers stierten zu ihm herab.
    »Wird Ihnen dort nicht gefallen, Meister.«
    »Es braucht mir nicht zu gefallen«, sagte Mr. Sutton-Cornish ätzend. Der Kutscher starrte noch immer herunter. »Ja«, sagte er. »Soho. Wordour Street und so. Wird gemacht, Sir.«
    Die Klappe fiel zu, die Peitschenschnur zuckte schmissig neben dem rechten Ohr des Pferdes, und es kam Bewegung in den Einspänner.
    Mr. Sutton-Cornish saß völlig regungslos, den Schal eng um den mageren Hals geschlungen, den Stock zwischen den Knien, die behandschuhten Hände auf der Krücke gefaltet. Er starrte stumm in den Nebel hinaus, der wie ein Tier auf der Brücke lag. Die Pferdehufe klapperten aus Grinling Crescent hinaus, über Belgrave Square, nach Whitehall hinüber, vor zum Trafalgar Square und hinüber zu St. Martin's Land.
    Das Pferd ging weder schnell noch langsam und doch hielt es mit allen anderen mit. Es bewegte sich lautlos, bis auf das Klapp-Klapp, durch eine Umwelt, die nach Benzindunst und verschmortem Öl stank, die von schrillen Pfiffen und Gehupe widerhallte.
    Und niemand schien es zu bemerken, nichts schien sich ihm in den Weg zu stellen. Das war immerhin verwunderlich, dachte Mr. Sutton-Cornish. Doch schließlich hatte ja eine zweirädrige Droschke mit jener

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