Professor Bingos Schnupfpulver
– und jetzt brauchen wir auch nicht mehr danach zu suchen. Ich rufe die Zentrale an.«
Er ging an Rehder vorbei ins Wohnzimmer und setzte sich neben das Telefon.
Die Haustürklingel läutete. Rehder blickte auf Joe Pettigrew hinab, dann zur Tür. Leise ging er durch die Diele. An der Tür blieb er stehen und öffnete sie einen Spalt breit und hielt sie fest. Er blickte hinaus auf einen großen, knochigen, verlebt aussehenden Mann, der einen Zylinder trug und einen Umhang. Der Mann war blaß und hatte tiefliegende schwarze Augen. Er lüftete den Zylinder und machte eine leichte Verbeugung.
»Mr. Pettigrew?«
»Der ist beschäftigt. Wer sind Sie?«
»Ich habe heute morgen eine kleine Probe eines neuen Schnupfpulvers bei ihm gelassen. Ich würde gern wissen, ob es seine Zustimmung gefunden hat.«
»Er mag kein Schnupfpulver«, sagte Rehder. Komischer Vogel. Aus welchen Ritzen kroch denn so einer? Man sollte das Pulver mal untersuchen, ob es Rauschgift enthielt.
»Nun, wenn er es doch mögen sollte, weiß er ja, wo er mich erreichen kann«, sagte Professor Bingo höflich. »Ich wünsche einen guten Nachmittag.« Er berührte den Rand seines Zylinders und drehte sich um. Er entfernte sich mit langsamen, würdevollen Schritten. Nachdem er drei Schritte gegangen war, sagte Rehder in seinem rauhen Polizeitonfall, den er jetzt seltener benützte als früher: »Kommen Sie mal her, Doktor. Wir möchten uns vielleicht mit Ihnen über dieses Schnupfpulver unterhalten. Wie Schnupfpulver kam uns das nicht vor.«
Professor Bingo blieb stehen und wandte sich um. Seine Arme waren jetzt unter dem Umhang verborgen. »Und wer sind Sie?« fragte er Rehder in abfälligem und leicht arrogantem Ton.
»Polizei. In diesem Haus ist ein Mord geschehen. Das Schnupfpulver könnte möglicherweise –«
Professor Bingo lächelte. »Mein Anliegen betraf nur Mr. Pettigrew, Inspektor.«
»Kommen Sie sofort hierher!« brüllte Rehder und riß die Tür weit auf. Professor Bingo blickte in die Diele. Er schürzte die Lippen. Sonst bewegte er sich nicht.
»Der Mann auf dem Fußboden sieht ja aus wie Mr. Pettigrew«, sagte er. »Ist er krank?«
»Schlimmer. Er ist tot. Und ich sagte es bereits: Kommen Sie hierher.«
Professor Bingo nahm die Hand aus dem Umhang. Sie hielt keine Waffe. Rehder hatte schon wieder an seine Gesäßtasche gegriffen. Er entspannte sich und ließ die Hand sinken.
»Tot? Ach!« Professor Bingo lächelte fast fröhlich. »Nun, darüber sollten Sie sich nicht beunruhigen. Inspektor. Vermutlich hat ihn jemand erschossen, als er zu fliehen versuchte.«
»Kommen Sie her, Sie!« Rehder machte Anstalten, die Stufen der Veranda hinunterzugehen.
Professor Bingo winkte mit der langen weißen Hand. »Armer Mr. Pettigrew. In Wahrheit war er schon seit zehn Jahren tot. Er wußte es nur nicht, Inspektor.«
Rehder stand jetzt unten auf dem betonierten Weg. In seiner Hand juckte es, nach dem Revolver zu greifen. Da war etwas in Professor Bingos Augen, was ihn am ganzen Körper frösteln ließ.
»Ich kann mir vorstellen, daß Sie hier vor einem Problem stehen«, sagte Professor Bingo höflich. »Ein ziemlich kompliziertes Problem. Aber in Wirklichkeit ist es sehr einfach.«
Seine Rechte kam unter dem Umhang hervor. Daumen und Zeigefinger waren zusammengepreßt. Er hob sie zu seinem Gesicht.
Professor Bingo nahm eine Prise Schnupfpulver.
Originaltitel: PROFESSOR BINGO ' S SNUFF
Aus dem Amerikanischen von Walter Spiegl
Die Bronzetür
1
Der kleine Mann kam von der Küste bei Calabar oder aus Papua oder Tongatabu, irgendeinem solch abgelegenen Ort. Ein lokaler Patriarch mit fransigem Schläfenhaar, mager und gelb, und jetzt leicht betrunken an der Club-Bar. Und er trug eine verblichene Schulkrawatte, die er vermutlich schon Jahr auf Jahr in einer Blechschachtel verwahrte, damit sie die Tausendfüßler nicht auffraßen.
Mr. Sutton-Cornish kannte ihn nicht, wenigstens nicht gleich, aber er kannte die Krawatte, weil es auch seine eigene Schulkrawatte war. Also sprach er den Mann zaghaft an, und der Mann unterhielt sich mit ihm, da er ein wenig betrunken war und sonst keinen kannte. Sie tranken zusammen und sprachen von ihrer alten Schule in jener eigentümlichen, distanzierten Art der Engländer, ohne sich gegenseitig ihre Namen zu nennen, jedoch mit liebenswürdigem Unterton.
Für Mr. Sutton-Cornish war es eine Sensation, denn im Club redete außer den Dienern sonst kein Mensch mit ihm. Er war zu sehr
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