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Professor Mittelzwercks Geschöpfe

Professor Mittelzwercks Geschöpfe

Titel: Professor Mittelzwercks Geschöpfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna und Günter Braun
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Genie, es mußte unbedingt ein Genie sein. Daß du mir nicht darüber redest. Kein Wörtchen über Robert!
    Doch wenn die anderen Frauen über ihre Kinder sprachen, konnte Ilse nicht an sich halten. Allein die Tatsache, daß sie ein ungewöhnliches Kind besaßen, mit Eigenschaften, an die die anderen gar nicht herankamen, löste ihre Zunge.
    Nachts, sagte sie, nach Mitternacht verlasse er sein Bett und wandere leise im Haus herum, aber wie er gehe, das jage ihr ein Grauen ein: als schleife jemand mit langen, ziehenden Strichen über die Teppiche, als sei ein fremdes Wesen, eine Erscheinung nicht von dieser Welt in ihrer Wo h nung zu Besuch. Dieses Ziehen. Dieses Schleifen. Dieses Gegen-den-Strich-Bürsten. Es halte etwa eine halbe Stunde an, dann werde es in den Räumen still. Sie könne aber in Erwartung dessen, was nun folge, nicht einschlafen. Es folge immer etwas.
    Manchmal das Quietschen einer Türangel, aber unentwegt, und als sie einmal aufgestanden war, habe sie Robert mit der Tür in der Hand ges e hen, die er hin und her bewegte, und dabei habe er rhythmisch mit dem Kopf genickt, er habe einen nach hinten ausgebuchteten Schädel, so habe er selbstvergessen genickt und dabei die quietschende Tür bewegt. Als sie ihn ansprach, habe er aufgeschrien, er habe die Tür aus der Hand gelassen und sei mit kleinen Schritten hastig atmend in sein Zimmer gerannt. Er habe die Tür zugeworfen, das ganze Haus habe gedröhnt, und ihr Mann Eberhard sei aufgewacht. Sie habe dann vorsichtig in Roberts Zimmer geschaut, er habe sich ins Bett gewühlt, sie sei näher herangetreten, und er habe in den Kissen hin und her gezuckt und geheult. Sie habe ihn stre i cheln wollen, da habe er geschrien, geh weg, du Hexe, und hatte dabei aufgerissene Augen.
    Daß einer Mutter dabei unheimlich werden konnte, verstanden die Freu n dinnen. Sie sagte, sie hätte ihm versprechen müssen, ihn auf seinen näch t lichen Ausflügen nicht mehr zu stören, aber sie wache jedesmal auf, wenn sie die schleifenden, ziehenden Schritte höre und kurz danach die ersten Geräusche kamen: einmal waren es gezupfte Drähte, die ihr Mann, der vortags etwas repariert hatte, liegengelassen und die nun Robert in der Küche aufgespannt hatte. Die ganze Nacht habe er an ihnen gezupft, sie habe schon geglaubt, nun wären wirklich erdfremde Wesen in die Wohnung eingestiegen. Die Aufspannungen habe er natürlich nachher nicht abg e räumt, er räumte niemals etwas weg, so sei sie morgens in der Küche über die Drähte gestolpert.
    Jede Nacht diese Geräusche.
    Und erst die Weihnachtsfeier.
    Er konnte so schön die alten Weihnachtslieder am Klavier spielen und singen, aber während der Feier sang und spielte er sie aus Bosheit ganz verzerrt, sie klangen wie Hundegeheul. Als ihre Eltern und die Schwiegere l tern endlich die Lieder singen wollten, konnten sie sie nicht mehr, die fa l schen Töne steckten ihnen bereits so im Gedächtnis, daß sie nicht einmal Stille Nacht, heilige Nacht richtig herausbringen konnten, ihnen klang Roberts Weihnachtsliedgeschrei immer noch in den Ohren, und sie wollte beobachtet haben, wie er teuflisch grinsend in der Ecke saß und sagte, jetzt können sie sie nicht mehr.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    2
     
    Ihr Mann Eberhard indessen war darauf erpicht, die 150.000 Mark wi e derzubekommen, die er für die genetische Manipulation des Robert vor seiner Geburt dem Studio metamorphosis gezahlt hatte.
    Als Robert in Musik ein Ungenügend nach Hause brachte, glaubte er e i nen hinreichenden Grund dafür zu haben, das Geld zurückverlangen zu können.
    Genbearbeiter Mutasius lachte ihn aus. Das Ungenügend könnte vor G e richt eher als Gegenbeweis angesehen werden, ein in den herkömmlichen Normen erzogener und erziehender Musiklehrer sei bestimmt nicht imsta n de zu beurteilen, ob sein Schüler ein Genie sei oder nicht. Lesen Sie in Immanuel Kants Kritik der Urteil s kraft! Genie gibt, heißt es dort, der Natur die Regel und steht im Gegensatz zu jeglicher Nachahmung. Daß er nachts, wenn alles still ist, die Wohnung nach neuen Geräuschen, nach Tönen a b sucht, und das Nacht für Nacht, deutet auf frühe Genialität hin, da versucht er nämlich, der Natur die Regel zu geben. Und Besessenheit ist dabei im Spiel.
    Sie haben ihn auf das absolute Gehör prüfen lassen, und er hat jeden, aber

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