Professor Mittelzwercks Geschöpfe
genießerisches Grunzen. Das macht sie wunde r bar, ja, das ist Kunst.
Sie zog dann einen Schal oder ein langes Ende Stoff aus jener Kiste und wickelte es so um sich, daß beispielsweise am Rücken ein langes, schmales Dreieck freiblieb. Da sah ich erst, was sie für einen schönen Rücken hatte. Als sie auch noch aus Stoffstreifen und Bändern so etwas wie ein Kleid geschlungen hatte, so einen Rock, der hier und da aufging und wieder zu, und als sie langsam über ihre langen weißen Arme Handschuhe streifte, da pfiffen und trampelten die Leute.
Das ist eben die Kutzenbacher, die ist unübertroffen, das macht ihr ke i ner nach. Von wegen, sich anziehen, das könnte jeder. Mit einer Frau, die sich so anzieht, da möchte man doch gleich.
Ich erinnerte mich an Berichte meines Urgroßvaters, der genußvoll detai l liert erzählte, wie sich in einem Nepp-Lokal ein Mädchen nach und nach entkleidet hätte. Natürlich künstlerisch wertvoll, betonte er, und trotzdem habe es gewaltig angeregt, es sei sexy gewesen.
Die Kutzenbacher zeigte noch andere Ankleidungskünste. Mit einem Mal stand sie in einer vollkommenen Taucherausrüstung da.
Wer ist denn diese Kutzenbacher? fragte ich, und gleich bekam ich Filmt i tel um die Ohren.
Die tritt doch sonst nicht in Lokalen auf, das ist doch eine Exklusiv-Schau, die singt doch auch, das müssen Sie doch kennen. Und Liedanfänge regneten auf mich. Die grauen schlappen Wasser der Langeweile schna p pen nach dir. Das sollte das Neueste sein.
Ich entsann mich, es schon gehört zu haben. Die Hintergrundmusik war elektronisches Geklicker und Geklacker. Die Stimme klang gleichgültig, als ob die Sängerin gleich in Schlaf versinken würde.
Sie sollen die grauen schlappen Wasser singen, sagte jemand laut, die grauen schlappen Wasser, bitte, bitte, Friederike.
Mir war dieses Gebrüll zu laut, ich kann aber nicht genau sagen, ob ich nicht auch daran teilnahm. Die grauen schlappen Wasser.
Vorne erklärte jemand, das Lied gehöre nicht ins Programm, es sei nicht vorgesehen, anscheinend der Mann, der während der Ankleidevorführung den Musikapparat kontrolliert hatte.
Die Kutzenbacher sagte, Quatsch, wenn sie es wollen. Sie hatte eine we i che tiefe Stimme. Die grauen schlappen Wasser der Langeweile schnappen nach dir.
Ich schlief schon beinah, plötzlich knallte sie es mir scharf um die Ohren: Wer wie ein Automat schuftet, häuft zwar eine Menge Zaster, aber er führt ein elendes Leben, die grauen Wasser der Langeweile schnappen nach ihm, und schließlich säuft er ab.
Die Leute wollten das immer wieder hören, sie gerieten in Ekstase. Bez o gen sie den Text etwa auf sich? Schufteten sie selbst wie Automaten, wie das Programm es befiehlt? Oder wollten sie sich von der alten Generation, ihren Vätern und Großvätern, deren Bemühungen sie zum Beispiel das elegante Quallnik verdankten, abgrenzen? Hingen sie der modernen Au f fassung an, die Schöpfer des gegenwärtigen Wohlstandes seien eine Gen e ration menschlicher Automaten gewesen, mit denen außerhalb des Pr o gramms kein Wörtchen zu reden möglich gewesen sei? Wandte sich ihr Gefühl gegen die Sucht, durch Beschäftigung die Lebenszeit lückenlos ausz u füllen wie ein vorgegebenes Muster?
Mich traf das nicht, ich hatte nie wie ein Automat geschuftet, freudlos b e harrlich. Ich hatte meist Spaß an der Arbeit und ebensoviel Spaß an der sogenannten Muße gehabt. Meine Zeit war nicht in Arbeit und Freizeit ze r fallen, beides war ineinandergeflossen. An der Reaktion auf den Schlager der Kutzenbacher stellte ich aber fest, daß ich eine Ausnahme gewesen sein mußte und daß etwas in der Luft lag, wodurch dieses Lied so ankam. Da wurde ein Nerv der Zeit getroffen, und es machte anscheinend niema n dem etwas aus, daß in dem Text die Logik etwas verschoben sein mochte. Erzeugte wirklich, wer wie ein Automat schuftete, einen Haufen Zaster? Waren Automatenmenschen überhaupt noch gefragt? Konnten es die A u tomaten nicht längst schon besser? War wirklich nur aus Lust an einem Automatendasein so stumpfsinnig geschuftet worden? Aber darum ging es nicht, es ging auch nicht um den Zaster, der gemacht wurde. Man führte trotz Zaster ein elendes Leben. Trotz Luxus, Quallnik, trotz perfekter Ve r sorgung mit allem, was das Leben des Menschen verschönern und menschenwürdiger machen sollte.
Im Überfluß ein elendes Leben führen, das war es, was paradox klang und den Nerv genau traf.
Plötzlich war es stockduster, und die Kutzenbacher
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