Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
gefehlt.«
»Ich war nicht disponiert, Herr Professor.«
»Aber zum Besuch des Blauen Engels sind Sie – traun fürwahr – stets disponiert.«
»Das ist etwas anderes, Herr Professor. Ich hatte heute morgen Migräne. Der Arzt hat mir geistige Anstrengung verboten und mir Zerstreuung verordnet.«
»So. Sei dem, wie ihm wolle …«
Unrat schnappte erst ein paarmal. Dann hatte er’s.
»Da sitzen Sie und rauchen«, wiederholte er. »Schickt sich das denn nun für den Schüler in Gegenwart des Lehrers?«
Und da Lohmann nichts tat, als ihn hinter halb gesenkten Lidern hervor mit müder Neugier ansehn, brauste Unrat auf: »Werfen Sie die Zigarette weg!« schrie er dumpf.
Lohmann ließ eine Weile verstreichen. Unterdessen taumelten Kiepert und Ertzum gegen den Tisch; Unrat mußte sich selbst, die Künstlerin Fröhlich und mehrere Gläser und Flaschen in Sicherheit bringen.
Als dies geschehen war: »Wie denn! Vorwärts nun also!«
»Die Zigarette«, versetzte Lohmann, »gehört zur Situation. Die Situation ist ungewöhnlich – für uns beide, Herr Professor.«
Unrat, erschrocken über den Widerstand, mit unterirdischem Beben: »Die Zigarette wegwerfen, sage ich!«
»Bedaure«, sagte Lohmann.
»Sie sollten es wagen! … Bursche! …«
Lohmann machte nur noch eine vornehm ablehnende Bewegung mit seiner spitzen Hand.
Da fuhr Unrat, gepackt vom Schwindel des bedrohten Tyrannen, vom Stuhl auf.
»Sie werfen sie weg, oder ich hemme Sie in Ihrer Laufbahn! Ich zerschmettere Sie! Ich bin nicht gesonnen –!«
Lohmann hob die Schultern.
»Wie bedauerlich, Herr Professor. Das alles ist ja vorüber. Daß Sie die Umstände so mißverstehen können.«
Unrat pfauchte. Er hatte die Augen einer wütenden Katze. Sein Hals war vorgestreckt mit höckrigen Sehnen; vor seinen Zahnlücken erschien Geifer; sein Zeigefinger drang, am Ende des im Winkel ausgelegten Armes, mit gelbem Nagel auf den Feind ein.
Die Künstlerin Fröhlich klammerte sich an ihn, aus der Verdauung der gehabten Genüsse jäh aufgeschreckt, noch etwas wirklichkeitsfremd, blind loskeifend gegen Lohmann.
»Was wollen Sie denn? Beruhigen Sie ihn lieber«, meinte Lohmann.
Da fielen Ertzum und Kiepert, über zwei krachende Stühle hinweg, dem umschlungenen Paar in den Rücken und warfen es mit den Nasen auf den Tisch. Aus dem ziemlich stillen Winkel hinter Rosa Fröhlichs Toilettentisch ertönte Kieselacks heller Jubel. Er tröstete sich ungestört mit Frau Kiepert.
Als Unrat und seine Freundin sich wieder aufgerafft hatten, schalten sie weiter.
»Sie kommen bei mir immer zuletzt«, schrie sie Lohmann zu.
»Ich erinnere mich, gnädiges Fräulein, daß Sie mir das bereits verheißen haben, und ich sehe dem gern entgegen.«
Und er bekam, da sie verzottelt, halb aufgeknöpft, mit zerlaufener Schminke, wüst und heiser sich vor ihm abarbeitete, plötzlich eine ungestüme Lust auf sie: wieder diese Lust, seine grausame Liebe zu demütigen durch die düstern Liebkosungen des Lasters!
Das ging aber gleich vorbei. Unrat, in seinem Angstkrampf, ließ es sich nämlich einfallen zu drohen: »Wenn Sie nicht augenblicklich die Zigarette fortwerfen, begleite ich Sie stehenden Fußes zu Ihrem Vater!«
Nun enthielt das Lohmannsche Haus an diesem Abend einige Gäste, darunter auch Konsul Breetpoot mit seiner Frau. Lohmann stellte sich vor, wie Unrat in den Salon einbräche … Er konnte Dora Breetpoot um so weniger diesen Auftritt zumuten, als er seit gestern wußte, daß sie in andern Umständen sei. Seine Mutter hatte es herausgebracht … Und das war auch der Grund, weshalb Lohmann heute in der Klasse gefehlt hatte. Den Kopf auf den Fäusten, in den Versgestalt annehmenden Martern des Gedankens an dieses Kind, das sie von Assessor Knust, vielleicht noch von Leutnant von Gierschke, möglichenfalls aber auch von Konsul Breetpoot hatte, saß Lohmann nun tagelang in seinem verschlossenen Zimmer …
»Kommen Sie mit!« rief Unrat. »Ich befehle Ihnen, Sekundaner Lohmann, mit mir zu kommen!«
Lohmann ließ ungeduldig die Zigarette fallen. Darauf sank Unrat befriedigt auf seinen Sitz.
»Sehen Sie! Freilich nun wohl. So ziemt es sich für einen Schüler, der sich um den Lehrer wohlverdient machen möchte … Sie, Lohmann, entschuldigt der Lehrer, denn Sie sind – immer mal wieder – als mente captus zu bezeichnen. Haben Sie doch eine unglückliche Liebe.«
Lohmann ließ die Arme sinken. Er war geisterblaß, und seine Augen glühten so schwarz, daß die
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