Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
Künstlerin Fröhlich ihn mit Bewunderung anstarrte.
»Haben Sie etwa keine?« fragte Unrat, giftig frohlockend. »Sie machen Verse – ohne darum doch –«
»– das Ziel der Klasse zu erreichen?« ergänzte zaghaft die Künstlerin Fröhlich, denn sie kannte diese Wendung durch Kieselack.
Lohmann sagte sich: ›Der Elende weiß es. Jetzt drehe ich mich um, gehe nach Haus, ersteige den Speicher, richte die Flinte gegen mein Herz. Und drunten am Klavier sitzt Dora. Das kleine Lied, das Dora singt, flattert herauf, und sein Flügelstaub schimmert bis in meinen Tod …‹
Die Künstlerin Fröhlich äußerte: »Wissen Sie woll noch, wie Sie mich angedichtet haben?«
Sie fragte sehr sanft, mit einem Seufzer. Sie wünschte sich mehr von ihm. Sie hatte sich eigentlich immer viel mehr von ihm gewünscht, erinnerte sie sich jetzt; und fand ihn grausam; und auch ziemlich dumm.
»Und kommst du erst mal in die Wochen … Na, wer is nu in den Wochen?«
Auch das. Sie wußten auch das. Lohmann wandte sich ab und ging zur Tür, verurteilt. Wie er den Griff in der Hand hatte, hörte er Unrat sagen: »Freilich nun wohl. Sie haben eine unglückliche Liebe zu der Künstlerin Fröhlich, welche sich jedoch entschlossen hat, Ihrer zu entraten, und darum auch dem in jenem schamlosen Gedicht von Ihnen geäußerten Wunsche nicht entsprochen hat. Sie sitzen nun nicht bei der Künstlerin Fröhlich im Kabuff, Lohmann. Sie sind der Künstlerin Fröhlich nicht teilhaftig geworden, Lohmann. Sie können nun zu Ihren Penaten zurückkehren, Lohmann.«
Mit einem Ruck drehte Lohmann sich wieder um. Weiter war’s nichts?
»Jawoll«, sagte auch Rosa. »Es stimmt, und jedes Wort sitzt.«
Der alte Dummkopf floß über von greisenhafter Eitelkeit. Das andere Geschöpf war ein unappetitliches Mädel, nichts weiter. Beide ganz harmlos, beide ganz unwissend. Die Tragik seiner vergangenen Minuten, Lohmann hatte sie irrtümlich erlebt und ohne Recht. Er ging nicht mehr, sich zu erschießen. Er fand sich enttäuscht, beinahe albern, durch die Komödie der Dinge wieder einmal entwürdigt, noch immer im Leben vor, und in diesem Kabuff.
»So, von Ertzum«, versetzte Unrat. »Nun räumen auch Sie – immer mal wieder – das Feld. Und weil Sie sich erdreistet haben, in Anwesenheit des Lehrers eine Prügelei vom Zaun zu brechen, schreiben Sie die Gesangbuchverse, die Sie nicht gekonnt haben, sechsmal ab.«
Ertzum blieb stehen, ernüchtert, belastet mit der Erkenntnis, daß die soeben genossene Muskelfreude nur Selbsttäuschung gewesen sei, daß sein Sieg über den Athleten ihm nichts genützt habe, daß hier nur ein Sieger sei: Unrat; und sah schreckensvoll in das gleichgültige Gesicht der Künstlerin Fröhlich.
»Fort mit Ihnen!« rief Unrat.
Kieselack wollte hinterher.
»Wohin? Ohne vom Lehrer entlassen zu sein! … Sie werden mir vierzig Vergilverse memorieren!«
»Warum?« machte Kieselack, empörerisch.
»Weil der Lehrer es so will!«
Kieselack überflog ihn mit einem Senkblick; und verlor alle Lust, es mit ihm aufzunehmen. Er machte sich still davon.
Die beiden andern waren ein Stück voraus.
Ertzum, in dem Bedürfnis, Rosa samt ihrem Galan zu verachten und zu verwerfen: »Das Mädchen muß man also als verloren ansehn. Ich gewöhne mich schon an den Gedanken. Ich versichere dich, Lohmann, ich sterbe nicht dran … Aber was sagst du zu diesem Unrat? Ist dir so eine Schamlosigkeit schon mal vorgekommen?«
Lohmann lächelte bitter. Er verstand: von Ertzum war geschlagen und zog sich klagend auf die angestammte Moral zurück: auf die ewige Zuflucht der Geschlagenen. Lohmann verschmähte sie, so schlecht er heute weggekommen war, auch er.
Er sagte: »Es war verkehrt von uns, dahinein zu gehn und zu glauben, wir könnten ihn in Verlegenheit setzen. Wir mußten bedenken, er war darüber hinaus. Zu Mitwissern hat er uns längst. Zusammengeplatzt sind wir hier schon oft mit ihm. Er hat uns schon nach Haus geschleppt, damit wir ihm bei der Fröhlich nicht gefährlich würden. Hielt er es übrigens für ausgeschlossen, daß ihm inzwischen irgendein anderer bei ihr gefährlich ward?«
Ertzum stöhnte verwundert auf.
»Denn es wäre ungesund für dich, Ertzum, wenn man dir hierüber noch Illusionen ließe. Sei ein Mann!«
Ertzum versicherte mit schlecht gefesteter Stimme, Rosa sei ihm gleichgültig, er frage nicht, ob sie rein sei. Nur Unrat empöre ihn in seinem sittlichen Bewußtsein.
»Mich nicht«, gab Lohmann an. »Dieser Unrat
Weitere Kostenlose Bücher