Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
ernst.
»Ihr habt doch hoffentlich keine Angst vor Unrat!« verlangte er empört. »Unrat liegt ja viel zu sehr drin, was will er denn gegen uns noch machen. Wir können jetzt Schindluder mit ihm treiben.«
»Es reizt mich nicht. Unrat ist
unter
allem Schindluder«, erklärte Lohmann. Kieselack flehte stürmisch: »Sei doch kein Frosch. Du hast bloß Angst.«
Ertzum entschied plötzlich: »Also los! Ins Kabuff!«
Eine wilde Neugier hatte ihn gepackt. Er wollte diesem Weib gegenübertreten, das aus solcher Höhe gestürzt war! Er wollte von ganz oben einen Blick über sie und ihren elenden Verführer hinwerfen und sehen, ob sie den Blick aushielt. Lohmann erklärte: »Ihr seid geschmacklos.«
Aber er ging mit.
In der Garderobe empfing sie Gläserklirren. Der Wirt entkorkte gleich die zweite Flasche Sekt. Das Ehepaar Kiepert neigte sich mit strahlenden Gesichtern über Unrat und die Künstlerin Fröhlich, die in eins verschmolzen hinter dem Tisch thronten.
Die drei Schüler gingen zuerst einmal um den Tisch herum. Dann pflanzten sie sich vor Unrat und seine Dame hin und wünschten einen guten Abend. Nur die beiden Kiepert antworteten und schüttelten ihnen die Hände. Darauf wiederholte Ertzum allein und mit rauher Stimme seinen Gruß. Rosa Fröhlich blickte verwundert auf und sagte unbefangen, mit einem zwitschernden, girrenden Stimmchen, das er noch gar nicht kannte: »Na, da seid ihr ja. Sieh mal, Schatz, da sind sie. Setzt euch man hin un prost.«
Damit war sie fertig, und ihr Blick ließ Ertzum fahren, so teilnahmslos, daß er ins Zittern geriet.
Unrat hob gnädig die Hand auf.
»Freilich nun wohl – setzen Sie sich und trinken Sie eins. Heute sind Sie meine Gäste.«
Er schielte nach Lohmann, der schon Platz genommen hatte und sich eine Zigarette drehte … Lohmann, der Schlimmste, dessen Eleganz eine Demütigung war für die schlecht bezahlte Autorität; Lohmann, der die Unverschämtheit hatte, Unrat nicht bei seinem Namen zu nennen; Lohmann, der kein mausgrauer, unterworfener Schüler und kein dummer Kerl war, sondern mit seinen unbeteiligten Manieren, seinem neugierigen Bedauern beim Zorn des Lehrers, den Tyrannen
anzweifelte
: – zu allen den Nebendingen, mit denen dieser Lohmann sich abgab, hatte er auch die Künstlerin Fröhlich hinzuzufügen versucht. Hierbei aber war er gescheitert an Unrats ehernem Willen. Er sollte nicht im Kabuff bei der Künstlerin Fröhlich sitzen: Unrat hatte es geschworen. Er sollte der Künstlerin Fröhlich nicht teilhaftig werden: er war es nicht geworden. Und nicht nur, daß nicht Lohmann im Kabuff bei der Künstlerin Fröhlich saß, saß vielmehr Unrat darin … Dies Ergebnis ging hinaus über Unrats erstes Ziel. Er stutzte; und fühlte auf einmal eine heißere Genugtuung. Er hatte Lohmann samt seinen zwei Genossen, er hatte den entlaufenen Schülern draußen im Saal, er hatte der Stadt von fünfzigtausend widerspenstigen Schülern die Künstlerin Fröhlich entzogen, und er war Alleinherrscher im Kabuff!
Sie fanden ihn förmlich verjüngt. Mit der Krawatte hinterm Ohr, einigen offenen Knöpfen und den verwirrten Resten seiner Frisur, hatte er etwas aus dem Geleise Geratenes, verkommen Sieghaftes, ungeschickt Trunkenes.
Rosa Fröhlich hatte etwas Aufgeweichtes, Müdwarmes, Verkindlichtes, wie sie, an ihn geschmiegt, über den Tisch hing. Ihr Aussehen war eine Kränkung für jeden unbeteiligten Mann, weil es ein allzu entschiedener Triumph Unrats war.
Die drei merkten dies ganz gut; Kieselack begann sogar an den Nägeln zu kauen. Kiepert, der sich weniger klar darüber war, ward mit seinem Unbehagen fertig dadurch, daß er allen geräuschvoll zutrank. Die dicke Frau entzückte sich fortwährend über Rosas glückliche Veränderung und über das allgemeine Versöhnungsfest.
»Und Ihre Schüler, Herr Professor, die freuen sich auch mit. Was die jungen Herren anhänglich sind an Sie, da is das Ende von weg.«
»Immerhin denn wohl«, sagte Unrat. »Sie scheinen ja wirklich des Sinnes für das Schöne und Gute nicht völlig zu ermangeln.«
Und er lächelte höhnisch.
»Nun, Kieselack, immer mal wieder auch da? Es wundert mich nur, daß Sie der Möglichkeit, das Haus zu verlassen, nicht durch die Wachsamkeit Ihrer Großmutter verlustig gegangen sind … Dieser Schüler besitzt nämlich eine Großmutter, welche keinen Anstand nimmt, ihn mit Prügeln zu versehen«, sagte er zu der Künstlerin Fröhlich, in der Absicht, Kieselack in seiner Manneswürde zu
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