Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
sagenhaften Reiz. Dunkle Berichte davon drangen in die Kreise der jungen Mädchen; und stundenlang sannen sie miteinander darüber nach, die Augen voll erschrockener Neugier. Außerdem wollten sie wissen, daß bei Unrats die Damen zuweilen mit ganz entblößtem Oberkörper erschienen. »Wie unglaublich unpassend!« Aber komisch mußte es sein.
Lorenzen brachte einige Offiziere mit, die den Wein für ihre Messe bei ihm kauften; darunter Leutnant von Gierschke. Assessor Knust war einer der ersten aus der feinen bürgerlichen Gesellschaft, die sich einstellten. Er trat in nachdrücklichen Wettbewerb mit dem jungen Oberlehrer Richter bei der Künstlerin Fröhlich. Richter war endlich verlobt mit dem Mädchen aus reicher, Oberlehrern sonst unzugänglicher Familie; und der Bräutigamsstand bekam ihm schlecht. Er ward reizbar, genußsüchtig, verlor leicht seinen sonst so gesetzten Beamtenkopf. Er verspielte, hingerissen durch das Beispiel Lorenzens, im Hause Unrat mehrere seiner Monatsgehälter an einem Abend, ging blöde Wetten ein, vergaß in der Hitze seiner Werbungen um die Hausfrau alle Zurückhaltung. Im Lehrerzimmer fielen böse Andeutungen über seinen Verkehr bei dem einen Schandfleck des Standes darstellenden Unrat.
Unrat hatte, wie das Spielglück es brachte, Höhen oder Tiefen. Einmal erhielt die Künstlerin Fröhlich einen Chinchillapelz für tausend Mark, und ihr bunter Kopf kam prickelnd heraus aus dem grauen, langhaarigen Fell. Dann wieder mußte Unrat, wenn die Gäste eintrafen, sich ins Bett stecken und krank sagen lassen, weil kein einziger Restaurateur mehr etwas zu essen schicken wollte. Tags darauf ging er hin und hielt den Leuten vor, daß sie von einer Katastrophe keinesfalls etwas zu hoffen hätten. Sie konnten sich der Einsicht nicht entziehen und verlängerten den Kredit, bis Unrat wieder gewonnen haben würde.
Die Künstlerin Fröhlich pointierte nur selten, und dann hörte sie nicht früher auf, als bis alles dahin war. Eines Abends aber suchte ein so wolkenloses Glück sie heim, daß ihr Gegner, Lorenzen, sich zurückziehen mußte … Er war sehr blaß und verschwand, indem er Drohungen ausstieß. Die Künstlerin Fröhlich saß da, überwältigt wie ein Kind nach der Bescherung, und hielt in kraftlosen Händen Papier und Gold. Man erbot sich, plötzlich sehr achtungsvoll, es ihr zusammenzuzählen; und es waren mehr als zwölftausend Mark. Sie sagte nur, sie wolle schlafen gehn. Und mit Unrat allein geblieben, die Augen voll Fieber, und mit einem süßen, halb versagenden Stimmchen: »Nu hat Mimi wieder ’ne Mitgift. Die Anhängsel und Feststecksel haben wir alle drangeben müssen, aber nu hat sie doch wieder eine und braucht es nich so zu machen als wie ich.«
Aber schon am frühen Morgen ward das Haus gestürmt von Gläubigern, die Geld witterten; und ob die Künstlerin Fröhlich die Mitgift ihres Kindes auch mit ihrem Leibe deckte, sie entrissen sie ihr.
Andererseits verbreitete sich das Gerücht, der Weinhändler Lorenzen stelle seine Zahlungen ein. Unrat lief sofort nach Erkundigungen, und wie er zurückkam, war er bleich, feucht, und konnte kein Wort hervorbringen. Schließlich, schnappend, mit klappenden Kiefern: »Er macht Bankrott. Der Schüler Lorenzen macht Bankrott!«
»Was ich mir dafür kaufe«, erwiderte die Künstlerin Fröhlich, auf der Ottomane zusammengesunken und mit den Händen schaukelnd zwischen den Knien.
»Der Schüler Lorenzen macht Bankrott«, wiederholte Unrat. »Der Schüler Lorenzen liegt zerschmettert am Erdboden und wird sich nicht wieder erheben. Seine Laufbahn ist – traun fürwahr – jäh beendet.«
Er redete ganz leise, als fürchtete er, vom eigenen Jubel gesprengt zu werden.
»Was hast du davon. Mimi ihre Mitgift sind wir los.«
»Der Schüler Lorenzen ist nun gefaßt worden. Diesmal ist es mir gelungen, ihn zu fassen und ihn seinem wohlverdienten Schicksal auszuliefern.«
Sie sah ihn umherstreichen, als sei er verwirrt. Seine Hände zitterten an Gegenständen, die zu berühren er sich nicht bewußt war. Sie äußerte noch mehreres und hörte ihn immer nur bebend hinhauchen: »Der Schüler Lorenzen liegt zerschmettert am Erdboden.«
Allmählich zog sein Benehmen sie an. Seine viel stärkere Seelenbewegung fuhr über ihre hin und löschte sie aus. Sie verlor ihren Kummer aus dem Sinn, sah ihrem Mann starr nach, undeutlich erschrocken über diese Leidenschaft, als sei sie ein auf Unrats Grunde immer sprungbereiter Wahnsinn; und dabei
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