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Projekt Armageddon

Projekt Armageddon

Titel: Projekt Armageddon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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stillen Spiegel des Sees. Sie vernimmt seine Schritte, die sich nähern, dann schaut sie sein Gesicht, das über dem ihren im Spiegel erscheint. Sie taucht die Hand ins Wasser, und beide Gesichter zersplittern.
    »Lodur, dein Bruder, lebt«, sagt sie still. »Er lebt und atmet und spinnt seine Ränke.«
    Odins Atem ist rau. »Er sucht nach ihr«, flüstert er. »Jörd, meine Wala, mein Weib. Ich fürchte …«
    Sie erhebt sich, trocknet ihre Hände am groben Tuch ihres Rockes. »Freue dich, Allvater«, sagt sie nüchtern. »Er fand einen Weg hinein.«
    Er schweigt. Und als sie sich umwendet, ihn anblickt, schließt er sie fest in die Arme.
    Sie ruhen im Schatten des Weltenbaumes. Ihr Kopf liegt in seinem Schoß und seine Finger spielen mit ihrem Haar, dessen helle Flut hinab auf das schattige Moos fließt.
    »Rate mir, Jörd«, sagt er gedankenverloren. »Du kennst meinen Bruder, den Lügengott. Was führt er im Schilde?«
    Sie blickt reglos hinauf ins ewige Grün der Krone. Glaubt, golden und glänzend die lichte Burg der Asen zu sehen, aber dann ist es doch nur ein verirrter Strahl der sinkenden Sonne.
    »Ich kann nicht glauben, dass er auf Untergang sinnt«, sagt sie langsam. »Nicht jetzt. Warum so spät? Er hätte uns alle vernichten können, er hat es vermocht. Iduns Äpfel …«
    Odin lacht auf. »Iduns Äpfel«, wiederholt er heiter. »Du hast es auch vermutet? Oder es sogar gewusst?«
    Sie schüttelt den Kopf und lächelt. »Wer sonst sollte es getan haben?«, erwidert sie. »Er war so zornig und so ohnmächtig, und ihr habt ihn so oft gedemütigt und bestraft für Taten, die ihr selbst von ihm verlangt hattet.« Sie legt ihre Hand auf seine Lippen, um seinen Widerspruch zu schweigen.
    Sein Blick ist zornig, aber da sie ihre Augen nicht niederschlägt, sondern ihn fest erwidert, ist er es, der den Blick abwendet und seufzt.
    »Warum also jetzt erst?«, kehrt sie zurück. »Wenn er sich hätte rächen wollen – warum dann nicht an allen, die ihn verspottet und gequält, gebunden und geschlagen, verhöhnt und gejagt haben? Warum jetzt, warum du? Du warst von allen immer der eine, der zu ihm gestanden hat. Dir hat er den Sohn genommen, und das war Rache mehr als genug für alles, was du ihm getan hast.« Sie schüttelt den Kopf. »Es ist wider jede Vernunft.«
    Sie schweigen und lauschen der Amsel, die die Nacht begrüßt. »Nott«, murmelt Odin, »die Dunkle. Sie und ihr Mann haben sich immer fern gehalten von uns. Warum? Ich weiß es nicht. Auch sie sind gegangen.« Seine Hände berühren sanft und kühl ihre Wangen.
    »Wir sind es nicht, um die es geht«, haucht er, um das Lied der Amsel nicht zu stören. »Meine Eitelkeit will es nicht sehen, aber meine Klugheit sagt es klar und kalt: Es geht nicht um mich. Ich bin ein Steinchen im Schuh, ein Knoten am Ast, ein Baumstumpf auf dem Acker, ein verkeilter Ast in der Strömung des Baches.« Er lacht leise und tief. »Unwichtig. Störend, ja, ein wenig. Etwas, das man beseitigen muss. Aber nicht mehr als das.«
    Sie richtet sich auf, um sein Gesicht zu sehen. »Glaubst du das wirklich?«
    Sein Blick ist nachdenklich. »Nein«, erwidert er nach einer langen Weile. »Nein – und ja.« Er hebt die Hand. »Aber es ist doch gleichgültig. Ob der, der mich vernichten will, es nun tut, weil er mich hasst oder weil ich ihm einfach nur im Weg stehe: Für mich bleibt es im Ende das Gleiche.« Er beugt sich vor und küsst sie fest auf den Mund. »Du hast mir Hoffnung gegeben, meine Wala. Ich werde gehen und den Eingang suchen. Und wenn ich ihn gefunden habe, werde ich unsere Enkelin holen und mit ihr und dir einen Weg ersinnen, das Unheil von uns fernzuhalten.«
    Sein Blick verfinstert sich wie der lichte Himmel vor einem Gewitter. »Und wenn ich ihn finde«, setzt er hinzu, »dann werde ich ihn kein zweites Mal mehr verschonen. Er mag bleiben, wo er ist, als das, was er zu sein vorgibt. Ein Toter.«

5
    Ich kenne deine Werke, und ich habe vor dir eine Tür geöffnet,
die niemand mehr schließen kann.
    A sh und Ravi saßen nebeneinander auf einem Tisch im Archiv und sahen beeindruckt zu, wie fleißige Dämonen sich durch die Aktenberge frästen, rechts und links Papierwehen hinterlassend, die andere Dämonen wieder in die Regale räumten. Inmitten des Trubels stand Macnamara und befehligte seine Hilfstruppen.
    Ravi hatte es nach kurzem Zögern gewagt, seinen Arm um Ashs Schultern zu legen, und sie ließ ihn gewähren. Er beugte sich zu ihr und flüsterte: »Ich habe

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