Projekt Atlantis
schienen die Scouts dankbar zu sein, denn sie nickten und würden sich vermutlich an bestimmten Tieren oder Pflanzen orientieren, die sich in der Nähe dieser wassergefüllten Löcher aufhielten. Cenoten entstanden aus Höhlen, die im Laufe von Jahrtausenden tief unter dem Urwaldboden durch das hindurchsickernde Regenwasser aus dem Kalkstein gewaschen wurden. Brach die Decke ein, bildeten sich oft kreisrunde Löcher. Manchmal mit nur zehn oder zwanzig Metern Durchmesser, aber zum Teil auch von der Größe eines Fußballfelds, mit steilen, steinernen Wänden, die bis zum Grundwasser hinabführten. Inzwischen hatte man herausgefunden, dass es auf der Halbinsel Yucatán über dreitausend solcher Cenoten gab, die größtenteils durch ein gigantisches unterirdisches, wassergefülltes Höhlensystem – vielleicht sogar das größte Höhlensystem der Welt – miteinander verbunden waren. Padre Guilherme hatte von einer kleinen Cenote in der Nähe seiner Mission berichtet, einem heiligen Platz der Maya, aber Patrick hatte auf den Satellitenbildern der Region im näheren Umkreis seiner Koordinaten keine Wasserlöcher finden können. Allerdings waren die Bilder von verhältnismäßig grober Auflösung gewesen, sodass Objekte geringer Größe darauf schlicht nicht zu erkennen gewesen waren.
Es war Jaime, der zehn Minuten später aus einiger Entfernung rief. Als sie zu ihm aufschlossen, sahen sie, dass er tatsächlich eine Cenote gefunden hatte. Sie war nicht groß, Patrick schätzte ihren Durchmesser auf zehn oder zwölf Meter. Der Waldboden endete an einer steilen Kante. Wie ein Brunnenschacht führten die Wände nach unten, von wo ein glatter Wasserspiegel einem grünen Auge gleich in den Himmel starrte.
»Sehr gut«, sagte Patrick. »Es kann nicht mehr weit sein. Wir trennen uns. Ich gehe in einigem Abstand rechtsherum, ihr beide links. Und Jaime, du machst dabei einen noch weiteren Bogen als Rodrigo. Wir treffen uns auf der anderen Seite!«
Dieses Mal war es Patrick, der fündig wurde. Ein Wall versperrte seinen Weg. Zwischen den Bäumen wölbte sich das Unterholz mit einem Mal hoch, als wüchse es über ein Hindernis. Patrick hieb mit seiner Machete einige der Pflanzen beiseite und stieß auf eine Schicht aus Moosen und Humus, die er ebenfalls entfernte. Darunter kam eine niedrige Mauer aus Steinen zum Vorschein, eine Konstruktion von Menschenhand.
Er pfiff auf zwei Fingern, um die beiden Führer herbeizurufen, und verschaffte sich derweil selbst einen Überblick. Er stieg auf den Wall und begutachtete dessen Verlauf. Tatsächlich bildete die unter dem Waldboden fast unkenntliche Mauer ein großes Rechteck, wie das Fundament eines Hauses. Dies war die Mission!
»Hier ist es«, erklärte er, als Jaime und Rodrigo herbeikamen. »Wir müssen alle Pflanzen um die Mauern herum und im Innenraum entfernen.«
Sofort machten sich die Männer an die Arbeit. Patrick hatte keine genaue Vorstellung davon, wo er in diesen kläglichen Ruinen einen Schatz finden sollte, aber er hoffte, dass ihm sein Instinkt eine Eingebung schenken würde, sobald sie die Mission freigelegt hatten. Er vermutete, dass ihn der Anblick der Mauern inspirieren würde, wie es hier einmal ausgesehen haben mochte, und vielleicht fanden sie ja auch andere Reste, Schutt, Hinweise, irgendetwas außer bloßen Steinen.
Zu dritt kamen sie gut voran, und noch vor der Dämmerung hatten sie nicht nur die Sträucher, Ranken und jungen Bäume in der Mitte der Ruine entfernt, sondern auch eine meterdicke Schicht von Unterholz und Erde aus den letzten vierhundert Jahren abgetragen und waren schließlich auf einen mit Kalksteinplatten belegten Boden gestoßen, der offenbar einst den Fußboden des Gebäudes gebildet hatte. Die Platten waren nicht mehr eben, an vielen Orten verschoben, von Pflanzen emporgehoben oder von Wurzeln durchdrungen und zersprengt worden. Auch war in der Mitte ein großer Baum mit fast einem Meter hohen Brettwurzeln gewachsen, ein noch junger Baumriese, der eines Tages mit seinem Umfang den gesamten Innenraum einnehmen mochte. Dennoch formte sich langsam das Bild eines schlichten Hauses, das hier, tief im Urwald Guatemalas eine Verbindung in das Spanien der Eroberer darstellte, eine unwirkliche Brücke in die Vergangenheit.
In einer Ecke des Raums, direkt an einer Wand, fiel Patrick eine besonders große Platte zwischen den kleineren auf. Vielleicht war hier einmal eine hölzerne Bühne gewesen, auf der ein gezimmerter Altar gestanden hatte?
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