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Projekt Babylon

Titel: Projekt Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Wilhelm
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»... › denen zugänglich, die Bewahrer der Mysterien sind ‹... na ja, das hilft uns auch noch nicht weiter, fürchte ich.«
    »Nun, vielleicht schon«, warf Stefanie ein.
    »Ach ja?«
    »Bezeichnet man nicht Frauen als Bewahrer von Mysterien?«
    »Die Frau ist ein Mysterium«, sagte Patrick. »Dem kann ich zustimmen!« Er lachte.
    »Stefanie hat Recht!«, überlegte Peter laut. »In der mystischen Tradition ist stets die Frau die Hüterin des Geheimnisses. Ich meine nicht die modernen, patriarchalischen Gesellschaften. Denken Sie an die klassischen Märchen: Es wimmelt von Hexen, aber nicht von Zauberern. Es waren Frauen, die das Orakel von Delphi hüteten. Die drei Nornen, die drei nordischen Göttinnen des Schicksals, sind weiblich. Auch die Sphinx des klassischen Altertums war weiblich, sie war sogar das Sinnbild des Geheimnisses. Bei den meisten Naturvölkern sind die Männer für die Jagd und die Frauen für die Religion zuständig. Die Männer für Tätigkeiten, die Frauen für Weisheiten. Die Frau als Hüterin der weiblichen Geheimnisse und des Wunders des Lebens. Die Erde wird in allen Religionen als Mutter, als weiblich betrachtet. › Gaia ‹ als ihr Name lebte im Zuge der esoterischen New-Age-Bewegung gerade erst wieder auf. Dabei ist es wirklich nichts Neues: Muttergottheiten waren ein so integraler Bestandteil der alten Kulturen, dass das katholische Christentum nicht umhin kam, Maria als Mutter Gottes einzusetzen, um eine einfachere Identifikation zu ermöglichen und den Übergang zu erleichtern. Mit dem Urchristentum, wie es von Paulus propagiert wurde, hat der Marienkult nichts zu tun.«
    »Sie wollen also sagen, in beiden Texten steht dasselbe?«, fragte Patrick.
    »Ich denke schon«, antwortete Peter. »Eine Frau kann die Höhle betreten. Und ich würde vermuten: jede Frau.«
    Es trat ein Moment der Stille ein. Sie sahen einander an, bis die Blicke der Männer nach einer Weile auf Stefanie haften blieben. Daraufhin begann sie langsam zu lächeln.
    »Fragen Sie mich«, sagte sie und nickte aufmunternd.
    »Sie meinen...«, begann Peter zögerlich. »Sie würden...? Wirklich? Es wäre natürlich großartig, aber sind Sie sich der Gefahr bewusst? Sie sollten eigentlich nicht... wir könnten das nicht verantworten... Nein, Sie dürfen auch gar nicht! Sie wissen überhaupt nicht, was Sie erwartet. Es wäre geradezu selbstmörderisch. Nein. Nein, auf gar keinen Fall!«
    Stefanie sah zu Patrick hinüber.
    »Gehen Sie in die Höhle?«, fragte er sie.
    »Natürlich. Heute noch!«

Kapitel 16

    10. Mai, Büro des französischen Präsidenten, Paris

    Emmanuel Michaut saß an seinem Schreibtisch, die Ellenbogen aufgestützt, den Kopf in den Händen vergraben. Er war körperlich und seelisch ausgelaugt, sein Schädel pochte dumpf, sein Nacken war verspannt. Er hatte die ganze letzte Nacht nicht geschlafen. Er würde nie wieder schlafen können. Seit dem Besuch von Jean-Baptiste Laroche war nichts mehr wie früher. Es war eine neue Welt. Als hätte man plötzlich einen gigantischen Asteroiden entdeckt, der sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit näherte, den nichts aufhalten konnte, und der die Erde in exakt dreiundsiebzig Stunden vernichten würde. Alle Gewohnheit, alle Zukunft, alles Leben stand an einer unsichtbaren Schwelle, hinter der es dem Abgrund entgegenstürzen würde.
    Michaut hatte immer an die Kraft des Einzelnen geglaubt, war überzeugt gewesen, dass alles erreichbar sei. Und das war es auch. Nichts auf der Welt geschah ohne Grund, und wenn man ein Ziel erreichen wollte, konnte man sich nicht darauf verlassen, dass es sich so fügen würde. Man musste selbst der Grund sein.
    Er glaubte an eine Kraft im Menschen, die es jedem ermöglichte, sich über die eigenen Beschränkungen und die anderen Menschen zu erheben, wenn man diese Kraft nur erkannte und zu nutzen lernte. Ein fast religiöser Ansatz, aber er war sich sicher, dass das nichts mit Göttlichkeit oder Religion zu tun hatte. Sicherlich, Religion hatte ihre Daseinsberechtigung. Sie gab jenen Menschen Halt, die mit ihren Ängsten und Zweifeln nicht alleine zurechtkamen. Die Religion versprach einen Sinn im Leben. Sie erklärte das Unerklärliche, sie half, scheinbar willkürliche Unbill des Schicksals zu ertragen, die Leere des eigenen Lebens zu füllen, die scheinbare Bedeutungslosigkeit des Einzelnen vor dem kosmischen Gefüge erträglich zu machen. Der Placeboeffekt von Religiosität war ihm offenkundig und absolut akzeptabel. Die

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