Projekt Babylon
sie erzählt hat?«
»Wie meinen Sie das?« Peter blies den Pfeifenrauch gemächlich zur Decke und sah Patrick von der Seite an.
»Na ja, einerseits finden wir eine merkwürdige multilinguale Höhle, und das Projekt heißt sogar ›Babylon Projekt‹. Andererseits faselt die geheimnisvolle Hebräerin ebenfalls etwas von Sprachverwirrung. Wir zeigen ihr eine Zeichnung aus der Höhle, und plötzlich wird sie ganz nervös. Sind die Sprachen der Zusammenhang?«
»Also, die Höhle hat mit Sicherheit nichts mit der babylonischen Sprachverwirrung zu tun, wenn es das ist, was Sie meinen. Die Sage um den Turmbau zu Babel, worauf sich ja auch Renée in der Abstammung ihrer Freimaurerloge beruft, ist eine Legende, die wahrscheinlich die alten Zikkurats der sumerischen Stadt Ur zum Vorbild hat. Das Reich der Sumerer ging schließlich unter, und das Gebiet wurde in den folgenden Jahrhunderten Schmelztiegel von Wüstenvölkern, Kriegern und Nomaden, alle mit völlig unterschiedlichen Sprachen. Das alles in dem Zeitraum zwei- bis dreitausend vor Christus. Das Vorhandensein von Latein in der Höhle spricht aber dafür, dass diese mindestens zweitausend Jahre jünger ist. Einen direkten Zusammenhang kann es also nicht geben.«
Patrick zündete sich eine Zigarette an. »Das ist mir schon klar. Die Höhle hat bestimmt nichts mit Babylon zu tun, aber die Loge vielleicht auch nicht. Was ich sagen will, ist: Vielleicht hat man die Babylon-Legende später hinzugedichtet, weil sie schön ins Bild passte, und in Wirklichkeit geht es um diese Höhle.« Patrick ereiferte sich zusehends. »Vielleicht war C.R.C. der Gründer der Loge und hat die Höhle seinerzeit selber bemalt. Vielleicht wollte er seinen Jüngern oder Lehrlingen oder wem auch immer ein besonderes Geheimnis hinterlassen, und die verschwörerische Renée hält sich für eine Nachfolgerin. Leider hat man vergessen, wo die Höhle lag, und so wurde aus der Höhle der Schriften der Turmbau zu Babel. Passt ja auch besser zu Maurern.«
»Ja, das klingt durchaus plausibel. Ich habe keine Scheu vor ungewöhnlichen Zusammenhängen, aber eine Abstammungsgeschichte, die sich auf eine fünftausend Jahre alte Legende beruft, sollte man mindestens für fragwürdig, wenn nicht wahnwitzig halten.« Er benutzte ein kleines Stahlutensil, um die Glut seiner Pfeife nachzustopfen. »Wenn wir wüssten, wie alt die Malereien sind, könnten wir Ihre Theorie besser abwägen.«
»Und wir müssten die Texte kennen«, fügte Patrick hinzu. »Wenn es um ein Geheimnis geht, steht das ja vielleicht in den Texten.«
»Ja, es wird immer wichtiger, dass wir jemand dazubekommen, der uns beim Übersetzen helfen kann.«
Kapitel 8
5. Mai, Büro des Bürgermeisters, St.-Pierre-Du-Bois
Der Morgen war kühl, ein feiner Nebel hatte die Straßen über Nacht benetzt, draußen roch es nach Pinien und Erde, doch im Büro von Didier Fauvel hing trotz der geöffneten Fenster eine schwere Luft aus Bohnerwachs, staubigen Ledersesseln und Eichenholzmöbeln.
»Es freut mich, dass Sie meiner Einladung folgen konnten«, sagte der Bürgermeister. »Bitte, setzen Sie sich doch. Sie müssen sehr beschäftigt sein, ich möchte Sie deswegen auch nicht lange aufhalten. Aber vielleicht können Sie mir etwas über den Fortschritt Ihrer Untersuchungen sagen. Ich selbst bin natürlich kein Fachmann auf diesem Gebiet, deswegen habe ich Monsieur Fernand Levasseur eingeladen.« Er deutete auf einen grobschlächtigen Mann mit Vollbart, der ausdruckslos auf einem Stuhl neben dem Schreibtisch saß. Unter seinen hochgekrempelten Hemdsärmeln kamen kräftige, behaarte Arme zum Vorschein, wie sie einem Holzfäller alle Ehre gemacht hätten. »Er ist studierter Biologe und unser Umweltbeauftragter der Region um St.-Pierre-Du-Bois. Ich habe ihn gebeten, sich in den nächsten Tagen und Wochen ein wenig Zeit zu nehmen, so dass er Ihnen mit seinen Ortskenntnissen zur Verfügung stehen kann.«
Peter und Patrick tauschten einen flüchtigen unsicheren Blick, bevor der Professor ein Lächeln über sein Gesicht huschen ließ und sich dem Mann zuwandte. »Professor Peter Lavell, sehr erfreut. Darf ich meinen Kollegen vorstellen, Ingenieur Patrick Nevreux,«
Der Biologe nickte.
»Wie geht es denn nun voran?«, drängte der Bürgermeister und ließ sich gemächlich in seinen Schreibtischsessel sinken.
»Nun, Monsieur le Maire«, hob Patrick an, »zunächst einmal müssen wir Ihnen danken, dass Sie sich die Zeit nehmen, sich unsere sicherlich
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