Projekt Babylon
haben Sie Recht!«
Der Gang führte sie an unzähligen Türen und Abzweigungen vorbei und in eine Art geräumiges Büro, das sehr altertümlich wirkte. Der Großmeister saß hinter dem Tisch in einem Polsterstuhl mit übermäßig hoher Lehne und erwartete sie bereits.
»Setzen Sie sich, bitte.« Es war die Stimme einer Frau. »Ich bin Renée Colladon. Es freut mich, Sie kennen zu lernen, Herr Professor Lavell, und auch Sie, Monsieur Nevreux. Bruder Sebastian hat Sie verbotenerweise als Lehrlinge in den Tempel gebracht, doch er tat dies mit meiner ausdrücklichen Zustimmung, denn Suchende sind Sie dennoch. Sie suchen Antworten.«
»Wir bedanken uns für Ihre Bereitschaft, sich mit uns zu treffen«, sagte Peter. »Weshalb durften wir den Tempel an einem Tag wie diesem betreten?«
»Es sollte Ihnen deutlich machen, wie viel sich Ihren Blicken täglich entzieht, wie weit Sie jederzeit von der Wahrheit entfernt sein können.«
»Es zeigt auch«, sagte Patrick, »wie viele andere Menschen täglich weit von der Wahrheit entfernt sind.«
Renée sah Patrick einen eisigen Augenblick schweigend an, und Peter befürchtete, dass die Frau jeden Moment aus der Haut fahren könnte, doch dem war nicht so. Ihr Tonfall schien bestenfalls leicht erregt, aber nicht verärgert.
»Es fällt Ihnen leicht, so zu sprechen, und es fällt mir leicht, es zu akzeptieren, denn Sie suchen. So wie wir alle das Licht erstreben. Sie haben es Ihrer besonderen Beziehung zu uns zu verdanken, dass Sie jetzt hier sein können, doch muss ich Sie warnen. Viele Antworten sind nicht für raue Steine bestimmt, wie wir die Nicht-Eingeweihten nennen. Als Außenstehende wird Ihnen die Innere Hütte – das letzte Geheimnis – immer verborgen bleiben, wenn Ihre Frage darauf abzielt.«
»Mich würde interessieren«, sagte Patrick, »warum Sie sich auf Hebräisch unterhalten. Wenn es Hebräisch ist.«
Renée beugte sich weiter vor, den Blick noch immer auf Patrick geheftet. »Ich sehe, dass Sie nicht im Mindesten mit unserer Geschichte vertraut sind.«
»Nein, ich habe mich noch nie für die Freimaurerei interessiert. Und ich habe auch noch nie so ein Schürzchen getragen.«
»Wir Freimaurer sind auf der Suche und im ständigen Bestreben, uns selbst sittlich zu veredeln, wie wir auch einen rohen Stein bearbeiten, um aus ihm ein prunkvolles Gebäude zu Ehren des Allmächtigen zu errichten. Die Maurer waren seit altersher die ungesalbten Eingeweihten. Wir haben Dome und Kathedralen errichtet, die Pyramiden der Pharaonen und den Tempel zu Jerusalem. Unser größtes Bauwerk Ihm zu Ehren jedoch erzürnte Ihn, und er strafte die Menschheit dafür. Sie wissen, wovon ich spreche?«
Patrick schüttelte den Kopf.
»Es war der Turmbau zu Babel«, fuhr die Frau fort. »Und Gott verwirrte die Menschen, und keiner verstand mehr die Sprache des anderen. Es war die babylonische Sprachverwirrung.«
»Und deswegen sprecht ihr jetzt Hebräisch?«
»Hebräisch ist die Sprache Gottes, und in ihr liegt die Kraft, Dinge zu erschaffen. Indem Adam in der Sprache Gottes den Dingen Namen gab, wurden sie wahr. In den wahren Namen der Dinge wohnt somit ihre ureigene schöpferische Kraft. Mit Hilfe der Kabbala gelingt es uns, dieser Wahrheit der Dinge auf die Spur zu kommen, und wir können unsere Gespräche mit Gott in der Ursprache wieder aufnehmen. Natürlich bleibt es ein ständiges Ringen nach unerreichbarer Vollkommenheit.«
»Was ist die Kabbala?«, fragte Patrick.
»Lassen Sie uns jetzt nicht zu sehr in Details gehen«, mischte sich Peter ein. »Tatsächlich haben wir andere Fragen.«
Renée lachte kurz auf. »Ihre Zielstrebigkeit ist bekannt, Professor Lavell. Gerne würde ich die Diskussion mit Ihnen vertiefen, Monsieur Nevreux, aber ich spüre, dass ich Sie zu einem anderen Zeitpunkt wiedersehen werde, wenn Sie Ihre wahren Fragen stellen. Der Professor hat Recht, heute sind Sie aus einem anderen Grund hier. Sie haben eine Zeichnung entdeckt, und diese verlangt nach einer Antwort.«
»In der Tat.« Peter reichte die Kopie über den Tisch. »Von wem stammt diese Zeichnung, und was bedeutet sie?«
Renée nahm das Blatt entgegen und betrachtete es eingehend. Durch ihre Kapuze war es nicht möglich, ihren Gesichtsausdruck zu erkennen, aber für einen Moment herrschte angespanntes Schweigen.
»Es ist eine Rose«, sagte der Großmeister schließlich.
»Ja«, sagte Peter.
»Haben Sie die Zeichnung aus einem Buch?«
»Nein, wie kommen Sie darauf?«
»Der lateinische
Weitere Kostenlose Bücher