Projekt Babylon
der Loge?«
»Renée Colladon? Nein, das glaube ich nicht. Sie kann nicht wissen, wo wir sind, und wenn doch, so hätte sie sich angemeldet.«
»Nach dem Fax wäre ich nicht mehr so sicher, dass keiner weiß, wo wir sind.«
Der Bedienstete stand noch immer vor ihnen und sah mit einem so unbeteiligten Gesichtsausdruck an ihnen vorbei, dass man ihm förmlich die Anstrengung ansah, so zu tun, als würde er nicht zuhören.
»Wollen Sie noch schnell mitkommen, gucken, wer es ist?«, fragte Peter.
»Um ehrlich zu sein, nein. Wenn Sie einverstanden sind, verziehe ich mich jetzt unauffällig.«
»Gut. Fahren Sie vorsichtig und viel Erfolg.« Anschließend wandte sich der Professor an den Hoteldiener: »Führen Sie mich bitte zu ihr.«
Der Salon Vert hatte seinen Namen durch die vollständig verglaste Front, die den Blick auf das üppige Grün des Gartens freigab. Die Morgensonne schien durch die Bäume und einen großen Bambusstrauch, der neben einem Teich gepflanzt worden war. Das Licht fiel in warmen, zitternden Streifen in den Raum, der in gelben und grünen Pastelltönen gehalten war. Rattanmöbel und Sets aus Bast strahlten einen fast britischen Stil aus. Ein wenig zwanziger Jahre, ein wenig subtropisch.
Um diese Uhrzeit waren nur noch wenige Gäste mit dem Frühstück beschäftigt. Zwei einzelne Herren lasen Zeitung, ein älteres Ehepaar aß noch, und an einem Tisch neben der zur Hälfte geöffneten Verandatür saß eine junge Frau bei einer Tasse Kaffee.
»Das ist die Dame, Monsieur le Professeur.« Der Angestellte zog sich zurück.
Die Frau sah auf, als Peter auf sie zutrat. »Peter Lavell, guten Morgen«, stellte er sich vor. »Man sagte mir, Sie suchten mich.«
»Sie und Ihren Kollegen Patrick Nevreux, ja.« Sie reichte ihm die Hand. »Mein Name ist Stefanie Krüger. Bitte, setzen Sie sich doch.«
Peter nahm Platz und betrachtete die Frau eingehend. Sie mochte Anfang dreißig sein, war ausgesprochen gut aussehend, sportlich-leger gekleidet und hatte ihr offenes blondes Haar auf einer Seite hinter die Ohren geklemmt. Um zu verhindern, dass ihr die Haare auf der anderen Seite ins Gesicht fielen, hielt sie den Kopf ein wenig schief. Für einen Augenblick hätte man sie für eine Touristin halten können, aber ihre Augen strahlten eine Konzentration aus, wie man sie bei einem Geschäftsmann vermutet hätte. Neben ihr auf dem Stuhl lagen eine Notebook-Tasche und ein Handy. Eine Reporterin! , schoss es Peter durch den Kopf.
»Ich bin froh, dass ich Sie heute Morgen noch treffe.« Sie holte eine Mappe hervor, die Peter bekannt vorkam. Sie trug den schwarzen Schriftzug Projekt Babylon. »Mehr als der Name dieses Hotels ist diesen kryptischen Papieren natürlich nicht zu entnehmen gewesen. Aber früher oder später musste ich Sie hier antreffen. Zur Not hätte ich den ganzen Tag auf Sie gewartet.«
Sie machte eine Pause, doch Peter erwiderte nichts.
»Ach so«, sagte sie, »vielleicht hat man mich nicht angekündigt. Ich stelle mich also am besten erst mal vor. Meinen Namen kennen Sie ja. Ich arbeite als freie Wissenschaftlerin, zuletzt für das British Museum in London. Ich bin Linguistin mit dem Spezialgebiet Klassik und Altertum. Ich bin von Elaine de Rosney im Namen der UN nach Genf eingeladen worden, mit dem Angebot, an diesem Projekt mitzuarbeiten.«
Peter hob eine Augenbraue. Hatte Elaine tatsächlich so schnell eine Sprachwissenschaftlerin gefunden?
»Das war vor zwei Tagen, und nun bin ich hier. Das Ganze ist ja sehr geheimnisvoll. Ich bin gespannt, um was es geht.«
Peter zögerte. »Mit welchen Sprachen sind Sie vertraut?«
»Ich bin im Ausland aufgewachsen und an internationalen Schulen gewesen. Ich spreche verhandlungssicher Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch. Außerdem Italienisch, Portugiesisch – die romanischen Sprachen ähneln sich ja alle. Griechisch und Türkisch ebenfalls.«
»Was ist mit dem Altertum?«
»Ich erforsche die Entwicklungsgeschichte der Sprache und der Schrift. Dazu gehört das Entziffern und Analysieren der Strukturen. Bei einigen Schriften muss man die Sprache selbst auch kennen, wie zum Beispiel, wenn man Hieroglyphen entziffern möchte. Andere Schriften sind so strukturiert, dass man sie in ein vereinbartes Äquivalent in lateinischer Schrift übertragen kann, ohne es selbst lesen zu können. Die Übersetzung nimmt dann jemand anderes vor.«
»Welche Sprachen des Altertums können Sie denn selber übersetzen?«
»Leider nur Latein, Altgriechisch,
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