Projekt Babylon
Neutralität«, fuhr Ash fort, »aber so viel kann ich Ihnen verraten: Renée Colladon ist harmlos. Und sie ist auch naiv. Sie ist noch nicht lange genug dabei, um zu wissen, wie die Karten verteilt sind. Hier sind größere Mächte am Werk als Christian Rosenkreuz, Mächte, von denen Sie überhaupt keine Vorstellung haben. Dies ist eine völlig andere Liga. Und ich kann Ihnen nur raten, die Finger aus dem Spiel zu lassen. ›Wenn Sie lange genug in den Abgrund blicken, dann blickt der Abgrund zurück in Sie!‹«
»Und was empfehlen Sie uns jetzt zu tun?«, fragte Peter.
»Geben Sie mir die Zeichnung und sagen Sie mir, wo Sie sie gefunden haben. Dann werde ich mich der Sache annehmen, und für Sie ist sie erledigt.«
Nun trat Peter einen Schritt zurück. »Auf gar keinen Fall! Erst, wenn wir ein paar Antworten bekommen haben.«
»Ich warne Sie, Monsieur le Professeur! Sie legen sich mit der Hand von Belial an, unterschätzen Sie das nicht!«
»Die Hand von Belial?«, fragte Patrick. »Was ist das nun schon wieder?«
Ashs Augen funkelten. »Ich!«, zischte er. »Ich bin die Hand von Belial, und Sie würden es bedauern, Näheres herauszufinden, das schwöre ich Ihnen!«
»Ich verstehe zwar nicht, warum Sie sich so aufregen«, sagte Peter betont ruhig, »aber Sie bekommen von uns nichts.«
»Gut.« Ash schien seine Souveränität schlagartig wiedergefunden zu haben. Er nickte den beiden lächelnd zu. »Schade, dass es so enden muss, Messieurs. Ich muss mich von Ihnen verabschieden, einen schönen Abend noch.« Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern drehte sich um und verließ zügig den Raum.
»Ups«, meinte Patrick nach einigen schweigsamen Augenblicken. »Was ist denn in den gefahren?«
»Dieser ›Kreis von Montségur‹ hat ihn offenbar schockiert. Aber was war es? Angst oder Gier?«
»Er schien mir nicht der Mann zu sein, dem leicht Angst einzujagen wäre. Wenn er sich trotzdem vor etwas fürchtet, dann muss er einen verdammt guten Grund haben. Das macht mich ehrlich gesagt etwas nervös...« Er zündete sich eine Zigarette an. »Und wenn es Gier war, nicht weniger... auf Fanatiker, die Drohungen aussprechen, kann ich verzichten.«
»Ich muss zugeben, dass mir auch etwas unwohl geworden ist. Sollten wir versehentlich in ein Wespennest gestochen haben?«
»Das Symposium scheint keine gute Idee von mir gewesen zu sein... Vielleicht wäre es jetzt ein guter Zeitpunkt, noch unauffällig zu verschwinden, bevor der Flurfunk wirksam wird.«
»Einverstanden. Wie sagt man gleich? › Manners make the man‹ ... aber hier scheint eine französische Verabschiedung angebracht.«
»Die Jahre in Deutschland haben Ihrem britischen Wesen offenbar nichts anhaben können.« Patrick grinste.
»Ich kann nur hoffen, dass das ein Kompliment sein sollte«, gab Peter zurück, und sie machten sich auf den Weg zum Ausgang.
8. Mai, Herrenhaus bei Morges, Schweiz
»Nun, Joseph, wie ist deine Meinung?« Der Mann, der gesprochen hatte, richtete seinen Blick auf die großzügige Fensterfront, welche die Sicht auf den Genfer See freigab. Auch bei klarster Sicht war das gegenüberliegende Ufer von hier aus nicht auszumachen. Aber nun brach die Dämmerung herein, und Nebelschwaden zogen sich über dem Wasser zusammen, so dass der See einem Fluss zu gleichen schien. Schwäne waren zu sehen und ein paar kleinere Boote. Sein Gesprächspartner sah ebenfalls hinaus. Er nahm noch einen Schluck Wein aus einem kelchartigen Gefäß, bevor er antwortete.
»Ihr hattet Recht, Steffen, die Lage spitzt sich zu. Die Zeit wird knapp, und noch immer wissen wir nicht, ob es sich zum Guten wenden wird.«
»Johanna rät uns, dass wir Vertrauen haben sollen. Die Forscher sind guten Herzens und nicht von Aberglaube oder Machthunger erfüllt – beides sind Eigenschaften, die wir schon zu oft angetroffen haben. Aber gleichzeitig...« Der ältere der beiden Männer strich über seinen Bart. »Gleichzeitig erregen sie mir deutlich zu viel Aufmerksamkeit.«
»Vielleicht sollten wir sie eindringlicher zur Auflösung hinführen?«, meinte der Jüngere.
»Aber sie müssen lernen, Joseph. Wir müssen ihre Fähigkeit zur Einsicht ständig aufs Neue prüfen.«
»Zwei Männer stehen am Ufer eines Flusses, den sie überqueren wollen. Einer der beiden beobachtet eine Weile und entscheidet dann: ›Die Strömung ist zu stark‹. Der andere Mann fragt ihn: ›Woher weißt du das?‹, und der Erste sagt: ›Sieh die rollenden Steine im Flussbett!«, und
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