Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht

mit Everyman -
    Wieder fuhr ein Schmerz durch ihren Kopf. Kalt und brutal wie ein Messer. Die Welt um sie herum verengte sich, wurde immer kleiner, bis da nur noch ihr Kopf war und die heiße Klinge, die ihn durchschnitt, ihn in kleine Stücke zerhackte, bis sie nicht mehr denken und kaum noch atmen konnte.
    Wie blind tappte sie hinüber zu ihrem Nachttisch und drehte den Lautstärkeregler an ihrem Ohrknopf voll auf. Sie ertrank in einem Wasserfall, klammerte sich wie wild an das Geräusch, versuchte, oben zu bleiben, während der Schmerz sie unerbittlich nach unten zog.
    Es nützte nichts. Ihr Gehirn fühlte sich an, als stünde es in Flammen.
    Verzweifelt wühlte Jet in der Nachttischschublade. Endlich fand sie das Comlink. Schob es sich ins Ohr. Stellte die Frequenz des weißen Rauschens ein.
    Immer noch nichts. Und dann hörte sie es. Nur ganz knapp hinter dem stillen Aufschrei ihres gemarterten Gehirns meinte sie, Geflüster zu hören. Kichern.
    Erwartungsvolles Gemunkel.
    »Nein«, entfuhr es ihr. Sie tippte an den Ohrknopf, um eine Verbindung zu Ops herzustellen -
    - und riss ihn sich heraus, als dort nur ein ohrenbetäubender Alarm schrillte und schrillte und schrillte. Tränen liefen ihr übers Gesicht; ihr Atem stockte. Ihr Herz hämmerte wie wild, als wollte es ihren Brustkorb zertrümmern. Schweißgebadet und am ganzen Körper zitternd sank Jet in die Knie und presste die Hände gegen den Kopf.
    Corp steht für Gerechtigkeit, wirbelten ihre Gedanken. Corp kümmert sich um den einfachen Bürger. Die Akademie lehrt, die Schwadron schützt. Die Pflicht kommt zuerst. Immer.
    Die Pflicht zuerst.
    Langsam, unendlich langsam ließ der Schmerz nach. Sie sagte die Leitsätze der Akademie auf, so schnell sie konnte. Und noch einmal. Und noch einmal. Und dann, endlich, war der Schmerz weg, und nur ein schwacher Widerhall blieb zurück.
    Oh, süßes Licht, das hatte 50 weh getan.
    Sie starrte auf das Comlink, aus dem immer noch der Alarm schrillte. Jet streckte eine zitternde Hand aus und tippte es an. Stille. Da war nichts mehr. Nur noch ihr keuchendes Atmen und ihr hämmerndes Herz, dessen Schlag sich nach und nach wieder normalisierte.
    Was war denn das gewesen?
    Jet stemmte sich hoch und richtete ihren Blick auf den Ohrknopf. In ihrem Kopf herrschte ein einziges Chaos, und ihr Comlink war kaputt.
    Und Corp und Everyman …
    Ein warnendes Summen in ihrem Kopf. Jet biss sich auf die Lippen und dachte ganz bewusst: Ich! Diene! Corp! Sie lächelte sogar.
    Und das Summen verschwand.
    Die Augen vor Entgeisterung weit aufgerissen, sank sie auf ihr Bett. Bei allem, was Licht war! Sie mussten in ihrem Kopf gewesen sein. Ihr irgendeine Art Gehirnwäsche verpasst haben. Corp oder Everyman. Oder beide.
    Sie sah Martin Moore vor sich, der sie angrinste. Er trug einen dieser weißen, gestärkten Laborkittel, wie alle Ärzte in der Psychiatrischen Abteilung der Akademie, und sagte: Was glauben Sie denn, wer Sie überhaupt zu dem gemacht hat, was Sie sind?
    Und Frostbite. Wie er sie bestürzt und doch selbstgefällig gefragt hatte: »Wie lange haben sie dich schon an der Leine?«
    Länger, als sie jemals gedacht hätte.
    Ihr Comlink auf dem Fußboden schien zu wimmern.
    Jets Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und sie verkrampfte ihre Hand so hart zu einer Faust, dass sich die Nägel ins Fleisch bohrten. Jemand würde ihr eine Menge erklären müssen. Schwärze quoll zwischen ihren Fingern hervor, umhüllte ihre Hand mit Schatten. Sie schüttelte ihn ab. Eine ganze Menge.
    Und sie würde sich nicht abwimmeln lassen.
    Erst duschen. Sich säubern. Die Überbleibsel von dem abwaschen, was sich nach und nach wie eine mentale Vergewaltigung anzufühlen begann.
    Terrys Protest ignorierend, stürmte sie ins Badezimmer. Für so etwas blieb jetzt keine Zeit. Sie duschte in Windeseile. Noch während sie sich abtrocknete, lief sie wieder ins Schlafzimmer zurück. Terry versuchte zumindest nicht, sie aufzuhalten.

Sie zog sich in aller Eile an – Unterwäsche, Kampfanzug. Drehte ihr Haar zu zwei dicken Spiralen und steckte sie am Hinterkopf fest. Dann ging sie mit großen, entschlossenen Schritten den Flur hinunter, durchquerte das Wohnzimmer und hielt auf das kleine Tischchen neben ihrer Wohnungstür zu. Dort angekommen, packte sie ihre Stiefel und zog sie an. Schloss den Gürtel. Steckte die Hände in ihre Lederhandschuhe. Oh, es fühlte sich so gut an, wieder in Uniform zu sein. Bereit zum Handeln.
    Mit einem grimmigen Lächeln