Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht
gibt es Schmorpfanne, dazu eine Gemüsebeilage«, sagte die Stimme des Superintendenten vom Band. »Um 19 Uhr wird im Freizeittrakt der 3-D-Film Once a Hero gezeigt, eine Biografie von Captain Colossal.«
Iridium packte gerade ihre Sachen aus, die das Hilfspersonal aus ihrem alten Zimmer in der Wohnung von Abbie, ihrer Pflegemutter, hierhergebracht hatte, und hielt inne. Abbie gehörte auch zum Hilfsteam. Aber sie war nett und ließ Iridium ab und zu auf das Dach ihres Hauses, damit sie ihre Stroboimpulse trainieren konnte – was gegen die Regeln verstieß.
Jetzt, als Vollzeit-Schülerin an der Akademie, würde sie Abbie nie wieder sehen. Nicht, dass ihr das etwas ausgemacht hätte. Aber sie spürte deutlich, dass sie hier nicht willkommen war. Und sie befand sich erst seit ein paar Stunden hier.
Iridium wurde klar, dass Jet nicht einmal Pflegeeltern gehabt hatte, die ihr Vater oder Mutter hätten ersetzen können. Sie war zusammen mit all den anderen Außermenschlichen ohne Eltern auf der Waisenebene aufgewachsen. Abbie und die anderen Erwachsenen hatten darüber gesprochen, wenn sie glaubten, Iridium würde lernen oder Musik vom Digipod hören.
Jet hatte sich nicht gerührt, als die Lautsprecheransage ertönte.
Iridium biss sich auf die Lippe. Ihr Magen und ihr Ruf kämpften gegen das Mitleid, das Jets zusammengekrümmter Körper in ihr auslöste.
Sicher, es war hart, mit dem Geflüster umzugehen und dauernd angestarrt zu werden. Mit anderen Kindern wie Hornblower klarzukommen, die sie verprügeln wollten. Irgendwann hatte sie gelernt, sich zu wehren und alle außer ihren schlimmsten Feinden so weit einzuschüchtern, dass sie sich nichts mehr trauten. Aber als Tochter eines verrückten Ex-Helden aufzuwachsen, musste noch viel härter sein.
Iridium versuchte, auf ihren Vater zu hören, auch wenn Arclight schon seit fünfeinhalb Jahren im Blackbird-Gefängnis saß. Freunde sind ein Luxus, den Leute wie wir sich nicht leisten können, Callie.
Wollte sie wirklich die fünf Jahre an der Akademie nur in Gesellschaft des Internets und der Musik auf ihrem Digipod verbringen?
Nicht wirklich.
»Hör mal«, sagte sie zu Jet. »Soll ich dir einen Lebkuchen aus der Kantine mitbringen?«
»Es ist nicht gestattet, Essen mit aufs Zimmer zu nehmen«, sagte Jet sanft.
Iridium ging hinüber zu ihrem Bett. »Ich sag nichts, wenn du auch nichts sagst.«
»Ich habe keinen Hunger.«
Iridium seufzte, dann setzte sie sich auf das Bett. »Jet. Es geht mich ja eigentlich nichts an. Aber wenn du jetzt nicht da rausgehst, dann werden sich Idioten wie Hornblower für den Rest des Jahres das Maul über dich zerreißen.«
»Ist mir egal, was Hornblower sagt.«
»Hornblower ist ein Held in fünfter Generation. Sein Dad ziert die Packung dieses dämlichen Müslis, das wir jeden Morgen essen. Keinem in unserer Klasse ist es egal, was er sagt.«
Jet zog die Schultern zusammen. Sie sah aus wie eine kaputte Puppe. »Dir schon.«
Iridium spürte, wie das Gift sich aus ihrer Brust in ihre Stimme schlich. »Mit meiner Familie … glaub mir, ich bin’s gewohnt.«
»Wenn ich da rausgehe«, entgegnete Jet, »werden Dawnlighter und die anderen Mädchen mir alles Mögliche an den Kopf werfen. Sie werden Dinge über mich erzählen.«
»Ich schlag dir einen Deal vor, in Ordnung? Wenn jemand Scheiße redet, kriegt er eine von mir auf’s Maul.«
Jet rollte herum und setzte sich auf. Sie blickte Iridium an. »Aber dann bekommst du jede Menge Schwierigkeiten.«
»Wie du schon sagtest: Mein Vater ist ein Abtrünniger.« Iridium zuckte mit den Schultern. »Was habe ich also zu verlieren?«
KAPITEL 8
JET
Welcher Art unsere speziellen Fähigkeiten auch immer sein mögen – von Feuer über mentale Kräfte bis hin zu Schatten –, jede von ihnen ist schon missverstanden worden und jede hat schon einmal zu großem Unheil geführt …
Dr. Lyle Lee (früher bekannt als Firebolt) in Innenansichten: Theorien zu den Kräften der Außermenschlichen
»Sie ist nur ein schmutziger Schatten.« Lachend zeigte das Mädchen mit dem Finger auf sie. »Das sieht man doch an ihrem Armband.«
Jet schluckte und warf einen nervösen Blick auf das tintenschwarze Band an ihrem linken Handgelenk. Die Farbe stigmatisierte sie wie ein Muttermal. Schwarz bedeutete, dass sie mit den Schatten arbeitete, ihnen ihren Willen aufzwang. Und jeder wusste, worauf das am Ende hinauslief: Sie würde den Verstand verlieren. Irgendwann. Sie konnte noch die Schreie ihres
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