Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht
Wasser über ihre aufgeschürfte Haut rann, wie die Seife ihren Schweiß und ihre Fehler abwusch. Es war, als ob die Hitze ihre Sorgen ausbrannte und ihr Unwohlsein wegschmolz. Das Shampoo duftete nach Beeren und Kokos. Sie wusch und spülte ihr Haar zweimal. Ein wenig plagte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie sich so viel Zeit nahm. Aber es war ja noch eine Weile hin, bis sie sich für die Talkshow fertig machen musste. Ironischerweise hatten die Ereignisse des heutigen Tages, die Verfolgung von Iridium (die sie verloren hatte, schon wieder, grrr), das Zusammentreffen mit den Grendels und der Rapport an Ops dazu geführt, dass sie eher nach Hause gekommen war, als wenn sie bis zum Ende bei Bürgermeister Lee und der Preisverleihung geblieben wäre.
Vermutlich würde sie sogar jetzt noch auf der Bühne schwitzen, wäre sie Iridium nicht begegnet. Bei dem Gedanken musste sie fast lachen.
Als sie fertig war, schlang sie sich ein Handtuch um den Kopf und hüllte ihren Körper in einen warmen Bademantel. Ihre linke Schulter schmerzte, und ihr Kiefer tat weh von Iris Schlag. Phantomschmerzen, sagte sie sich. Ein bisschen benebelt von der langen, heißen Dusche ging sie in ihr Schlafzimmer und setzte sich vor die Frisierkommode, die sie fast nie benutzte. Sie gehörte zur Standardausstattung in den Quartieren der Schwadron. Die Sponsoren erwarteten von ihren Helden ein glamouröses Aussehen. Dank ihrer Kapuze kam Jet meist ohne Make-up aus. Mit einem Seufzen nahm sie ihre Kosmetiktasche heraus und durchsuchte sie nach ihrem Eyeliner. Was man nicht alles dafür tat, um eine Heldin zu sein.
Du bist hier die große verdammte Heldin, Jet, wisperte Iri in ihrem Kopf. Aber du weißt, ich kenne dich.
Und Jet kannte Iri auch. Sie kannte sie, seit sie junge Mädchen gewesen waren.
Jung, aber nicht unschuldig. Schon als sie zwölf waren, hatte ihnen das Leben übel mitgespielt.
Aber einiges war auch gut gewesen. Fast auf den Tag genau vor zehn Jahren hatten Iri und sie sich an der Akademie getroffen. Jet war damals voller Düsternis gewesen – und Iri laut.
Ein trauriges Lächeln huschte über Jets Gesicht, als sie sich daran erinnerte, wie Iri jedem, der es wagte, Jet zu beleidigen, Prügel angedroht hatte.
Heiliges Licht, Iri, was ist nur mit dir geschehen?
Jet seufzte erneut. Sie fühlte sich traurig und seltsam leer. Dann begann sie, ihr Gesicht für den offiziellen Anlass herzurichten.
KAPITEL 12
IRIDIUM
Genau wie im legalen Geschäftsleben, so gibt es auch in der Welt des Verbrechens eine Hierarchie. Aber wenn im legalen Geschäftsleben Leute entlassen werden, geht das in aller Regel ohne Tote oder Verletzte ab.
Lynda Kidder, »Wer sitzt denn da in Blackbird?« New Chicago Tribüne, 2. Juli 2112
Iridium geriet nicht in Panik, als ein Bodenauto ohne Kennzeichen neben ihr hielt und ein fetter Cop seinen rasierten Schädel aus dem Fenster der Fahrertür steckte. »Ah, das ist ja meine Lieblingsschurkin«, sagte er. Sie nahm das Kästchen mit den Digichips in die andere Hand. »Detective Ostraczynski. Na, teilen wir mal wieder nur so zum Spaß Strafzettel für Falschparken aus?«
»Ich muss mit dir reden«, erwiderte er und machte eine Kopfbewegung. »Steig ein.«
»Du kannst mich ein Stück mitnehmen. Was gibt’s denn?« Ostraczynskis Bereitschaftswagen roch wie tagealtes Fastfood. Überall lagen leere Zigarettenschachteln und Energy-Drink-Dosen herum. Der Detective selbst war derangiert, wirkte unordentlich und ausgelaugt, genau wie das Revier, in dem er Streife fuhr.
»Du weißt sicher, dass es letzte Woche Momo the Shark erwischt hat«, sagte Oz. Iridium nickte. »Eine Vergeltungsmaßnahme der japanischen Mafia in Little Shinjuku. Meine Quellen haben es bestätigt.«
»Nun, ich weiß nicht, was für eine dilettantische Nummer Momo da abgezogen hat, aber sein Ersatz ist ein durchgeknallter Idiot namens Deke O’Connor, ein äußerst unangenehmer Zeitgenosse.«
Iridium sah aus dem Fenster auf die vorüberziehenden Häuserblocks, während sie überlegte, was sie antworten sollte. Die Verbrecherbanden gehörten zu Wreck City wie Ratten zu einer Müllhalde. Sie hielt sich aus den Angelegenheiten der Bandenführer heraus. Und die wiederum kannten die Regeln – keine kriegerischen Handlungen, keine Vergewaltigungen, keine Angriffe auf ehrliche Steuerzahler. Glücksspiel, Kreditbetrug und Prostitution, ja. Lass du ihnen ihre Geldquellen, dann lassen sie dich in Ruhe, hatte Lester immer gesagt.
Erst,
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