Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht
stiehlt es.«
»Du hast dein Ohr nicht gerade am Puls der Masse, was?« Meteorites eisgraue Augen betrachteten Jet eindringlich, scannten ihr Gesicht, um ihre Reaktion zu studieren. »Kann ja vielleicht sein, dass sie selbst nur kleine Raubüberfälle verübt. Aber sie hat ihre Finger überall drin. Sämtliche Schlägertrupps hören auf sie. Und die Polizei sieht weg. Sie ist es, die Planquadrat 16, New Chicago, eigentlich beherrscht.«
»Iri hat für Machtspiele nichts übrig. Sie würde so was nicht tun.«
»Du hast nicht die geringste Ahnung davon, was Iri tun oder nicht tun würde.« Meteorite blickte sie durchdringend an, und Jet schien es, als könne sie in den Augen der früheren Heldin Stürme toben sehen. »Du denkst doch nicht etwa immer noch, du könntest sie ändern?«
»Es ist nie zu spät. Wenn man sie rehabilitieren und ihr ständige Unterstützung gewähren würde, könnte Iri wieder in Ordnung kommen.«
»Eine Therapie?«, fragte Meteorite und zog die Augenbrauen hoch.
»Nein!« Jet atmete tief ein und schob die Wut, die dieser Vorschlag in ihr auslöste, beiseite. »Standard-Reha, mit einem Therapeuten. Sie könnte wieder eine Heldin sein. Ich kenne sie. Im Grunde ist sie gut.«
»Sag das mal Paul Collins«, schnaubte Meteorite. »Iridium ist eine Abtrünnige.«
»Selbst Abtrünnige kann man ändern. Nimm zum Beispiel Dr. Fantasy oder Thunderstruck. Bilderbuchbeispiele, wie es funktioniert.«
»Iridium würde niemals zulassen, dass man sie einsperrt. Geschweige denn rehabilitiert.«
»Ihr Vater hat es getan. Und sie würde es auch tun.«
Eine endlos lange Pause entstand, angefüllt mit unausgesprochenen Anschuldigungen. Schließlich sagte Meteorite: »Das ist alles nur leeres Geschwätz, solange du sie nicht herbringst, Süße. Und Gott weiß, wann wir dazu wieder die Gelegenheit bekommen. Ich nehme nicht an, dass es dir gelungen ist, einen Peilsender an ihr zu befestigen, als sie abgelenkt war?«
Jet wurde rot. »Nein.«
»Wie überaus beeindruckend! Raus hier, Jet! Und zwar schnell! Bevor ich es mir anders überlege und dich einen Bericht direkt an das Exekutivkomitee schreiben lasse!« Meteorite wandte sich ab. »Und noch etwas, Jet. Du stinkst wie ein Müllhaufen. Nimm eine Dusche, bevor du zu Goldwaters Show gehst.«
Zwischen zusammengepressten Zähnen stieß Jet hervor: »Das steht bereits auf meiner Liste, schon vergessen? Zusammen mit ›leichtes Make-up‹ und ›kein Parfüm‹.«
Jet blinzelte. Ihr wurde auf einmal klar, dass sie den Rückweg zum Schwadron-Komplex mit Autopilot geflogen war und dabei die ganze Zeit darüber nachgedacht hatte, wie Ops ihr für ihren Fehler den Arsch aufreißen würde. Na toll, dachte sie ärgerlich. Hör auf, an die Vergangenheit zu denken.
Aber ein rebellischer Teil in ihrem Kopf flüsterte: Hatte die ganze Sache nicht auch ihr Gutes? Du hast deinen neuen Runner kennengelernt. Das wiegt doch die Angst vor Ops und den Kampf mit den Grendels auf, oder?
Aber nicht die Tatsache, dass ich Iridium verloren habe. Schon wieder.
Ihre Hände zu Fäusten geballt, landete Jet vor dem Sicherheitstor, das den Eingang zum Komplex der Schwadron bildete. Auf dem Weg zum Wachbuch, in das sie sich eintragen musste, sah sie ihr Bild: ein Hologramm von New Chicagos Lady der Schatten. Stolz aufgerichtet stand sie da. Über ihrem Kopf prangten die Worte DUTY FIRST – DIE PFLICHT ZUERST. Unter ihrem Bild stand DIE SCHWADRON SCHÜTZT SIE, dazu der Strahlenkranz, das Symbol der Schwadron. Nur wenige Leute machten sich die Mühe, die winzige Anmerkung am Ende zu lesen: DIE SCHWADRON IST DIE ABTEILUNG AUSSERMENSCHLICHE VON CORP-CO.
Der Wachmann tippte etwas auf seiner Tastatur. »Sie können weitergehen, Ma’am.«
Jets Lippen verzogen sich zu einem knappen Lächeln. Diese Anrede ließ sie immer denken, sie hätte bereits graue Haare. Andererseits fühlte sie sich dermaßen ausgelaugt und kraftlos, dass eine kleine alte Dame sie im Augenblick vermutlich mühelos zusammenschlagen könnte. »Danke, Ryan.«
Sie trat an das Registergerät und riss ihre Augen auf. Kaum spürte sie den Strahl, der ihren Blick sezierte. Nach all den Jahren war der Netzhautscan genauso Teil ihres Tagesablaufs wie das Zähneputzen oder die tausend Sit-ups nach dem Aufstehen.
»Alles in Ordnung, Ma’am.« Ryan lächelte sein eingeübtes, perfektes Lächeln und winkte sie durch. »Schönen Nachmittag noch.«
»Ihnen auch, Ryan.«
Sie begab sich zu den Aufzügen. Die leere
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