Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht
Gegensätzliches: Ein eisiger Strahl fuhr ihre Wirbelsäule hoch, und verblüffenderweise entspannte sie sich. Denn eigentlich hörte sich Night immer kalt an, selbst dann, wenn er lachte. So wie jetzt, ein gedämpftes Glucksen.
»Interessant im chinesischen Sinn, natürlich. Ruf mich an, wenn du heimkommst.«
Die Nachricht enthielt keinen Hinweis darauf, ob er in seiner Eigenschaft als ihr ehemaliger Mentor angerufen hatte oder in der als Amtsträger beim Exekutivkomitee von Corp. Als Vertreter der Akademie wurde Night in alle Vorgänge eingeweiht, die Außermenschliche betrafen. Einschließlich, so schien es, ihrer Niederlage gegen Iridium.
Sie seufzte frustriert. Iri hatte sie kalt erwischt. Zweimal. In einer früheren Zeit hatte sie genau gewusst, wozu Iri imstande war.
Du hast nicht die geringste Ahnung davon, was Iri tun oder nicht tun würde, schimpfte Meteorites Stimme.
Vielleicht. Und vielleicht war Iridium wirklich nichts weiter als eine ruchlose Außermenschliche und musste aus dem Verkehr gezogen oder ausgeschaltet werden.
Aber es war Jet gewesen, die vorhin ihre ehemalige Freundin beinahe getötet hätte, und nicht etwa umgekehrt. Sie fröstelte, als sie an das Flüstern der Schatten dachte, die sie dazu aufgestachelt hatten. Nur eine feste Umarmung …
Genug damit, wies sie sich verärgert zurecht. Sie selbst hatte verhindert, dass sie zu weit ging. Iridium ging es gut.
Sie tippte an ihr Comlink.
»Ops«, meldete sich eine Stimme. Es war nicht Meteorite, sondern eine andere Frau, die sie aber nicht einordnen konnte.
»Hier spricht Jet. Sorgen Sie bitte dafür, dass mein Runner auch eine neue Optibrille für mich dabeihat, wenn er mir das Abendessen bringt. Alpha-Ausgabe.«
»Wird erledigt. Einen Moment bitte.«
Während sie auf die Genehmigung der Anforderung wartete, schaltete Jet eines der Geräte an, die weißes Rauschen produzierten. Davon befanden sich drei in ihrem Apartment. Dieses hier stand direkt neben dem Videofon. Sie wählte den Modus NÄCHTLICHE SERENADE. Grillenzirpen und das Quaken von Fröschen ertönten aus den Lautsprechern in ihrer kleinen Wohnung, als befände sich dieser spezielle Gebäudekomplex nicht abgeschieden irgendwo in New Chicago, sondern in einem ländlichen Gebiet in Montana. Das weiße Rauschen war allgegenwärtig.
»Eine Optibrille. Alpha-Ausgabe. Bestätigt.«
»Danke«, murmelte Jet. »Jet meldet sich ab.« Mit einem Fingertippen unterbrach sie die Verbindung zu Ops. Dann nahm sie ihr Comlink ab und steckte es zum Aufladen in seine Station unter dem Videofon.
Sie löschte die beiden Nachrichten und überlegte hin und her. Sollte sie Night jetzt gleich zurückrufen und sich ihre Schelte abholen? Dann hätte sie es hinter sich. Oder sollte sie erst eine Dusche nehmen? Oder bis nach der Goldwater-Show warten? Sie zog die Nase kraus. Dass sie wie ein Mülleimer stank, stärkte ihre Moral nicht gerade. Entschieden. Erst duschen, dann in die Goldwater-Show. Danach würde sie Night zurückrufen.
Auf dem Weg ins Bad schälte sie sich aus ihrem hautengen Anzug – einem von insgesamt zehn in ihrem Eigentum. Sie überlegte kurz, ob sie ihn nicht direkt an die akademieeigene Reinigungsabteilung schicken sollte, statt Bruce das erledigen zu lassen. Leise lächelte sie in sich hinein, als ihr bewusst wurde, dass sie nicht wollte, dass der neue Runner sich um ihre Dreckwäsche kümmerte.
Blödsinn, sagte sie zu sich selbst. Er ist dein Runner. Er ist dafür da, die Drecksarbeit zu erledigen.
Aber als sie ihren Sport-BH aufhakte und ihn zusammen mit ihrer Unterwäsche abstreifte, war ihr die Vorstellung unangenehm, dass er ihre privatesten Sachen sah. Diese schmutzigen, verschwitzten Baumwollklamotten.
Das war nun allerdings wirklich lächerlich.
Während sie Druck und Temperatur des Wassers in der Dusche auf ihre Bedürfnisse einstellte, fragte sie sich, ob die Helden und Schurken in den Outfits, die sexier waren als ihres, auch sexy Unterwäsche trugen. Genau genommen war sie sich nach dem, was sie über die Jahre so an Kleidung gesehen hatte, sicher, dass einige von denen überhaupt keine Unterwäsche trugen.
Hick.
Sie öffnete ihre blonden Zöpfe und schüttelte ihr verschwitztes Haar. Dann warf sie die elastischen Haarbänder in eine Schublade unter dem Waschbecken und trat unter den Wasserstrahl.
Normalerweise war das Duschen reine Routine, nur eine von vielen Notwendigkeiten. Doch nicht heute. Heute nahm Jet sich Zeit. Sie genoss es, wie das heiße
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