Projekt Ikarus 01 - Schatten und Licht
»Sie stören die Radarüberwachung an der Oberfläche.«
»Hier entlang«, raunte der Undergoth und schob einen Vorhang aus Ketten zur Seite. »Alarich erwartet euch.«
»Ich zittere vor Aufregung«, murmelte Iridium vor sich hin und trat ein.
Hinter dem Vorhang saß lässig eine spindeldürre Gestalt auf einem schiefen, aus Knochen gefertigten Stuhl. Ihre langen weißen Gliedmaßen wirkten wie Tentakel, ihr schwarzes Haar hing in Strähnen herunter wie fettige kleine Wasserfälle. Iridium konnte nicht erkennen, ob das Ding Mensch oder Tier war. Aber sie zog ihre Macht etwas näher an sich und spürte, wie Boxer ganz dicht an sie herantrat.
»Iridium«, krächzte Alarich. »Wie schön, dass wir uns endlich einmal persönlich treffen.«
»Wo ist das Problem, Alarich?«, erwiderte sie, als ein grobschlächtiger Undergoth ihr in den Weg trat. »Hast du etwa Angst vor der guten alten Iri?«
»Die hat jeder in Wreck City, der halbwegs bei Verstand ist.« Alarich grinste und entblößte dabei seine spitz gefeilten Zähne. »Komm näher. Hugo, lass sie durch.«
Ein paar Schritte vor Alarich blieb Iridium stehen. Wenn sein schwarzer Kilt und der Bolzen in seiner Augenbraue die Leute nicht bereits auf Abstand hielten, so ganz gewiss seine spitzen Zähne und der Gestank, der von ihm ausging.
»Wie ich deinem Partner schon sagte: Es scheint, als ob wir Untergrundbewohner einen Fan unter den selbst ernannten Ordnungshütern gefunden haben.«
»Nicht in meinem Revier. Das kann nicht sein«, gab Iridium zurück. »Die wissen alle ganz genau, dass sie ihrem Geschäft woanders nachzugehen haben. Falls Corp sie nicht einfängt und ins Blackbird bringt.« Oder sie ihnen schon als Kind in die Hände fielen und auf die Akademie geschickt wurden, was um ein Vielfaches schlimmer war.
»Oh.« Alarich verzog den Mund zu einem noch breiteren Grinsen. »Aber ich habe Beweise.« Er setzte sich aufrecht hin und schob die Lederweste beiseite, die ansonsten seinen Oberkörper bedeckte. Dann deutete er auf zwei genau gleiche schwarze Male in der Herzgegend. »Komm ruhig näher, Iridium.«
»Sie kann das von hier aus sehr gut sehen«, sagte Boxer.
»Nein, ist schon in Ordnung«, widersprach Iridium und sah Alarich an. »Er weiß, was passiert, wenn es ein Missverständnis geben sollte.«
Alarich lachte keuchend. »In der Tat. Hugo, geh und bring mir ein Pfeifchen. Die Luft hier drin ist so feucht wie der Arsch einer Hure nach dem Ritt auf einer Wasser rutsche.«
»Zeig mal her«, sagte Iridium und trat zu dem Anführer der Undergoths. Er erinnerte sie an eine Spinne, die in der Mitte eines zerrissenen, vermoderten Netzes hockte.
»Es hat mir großen Schmerz bereitet. Ich würde nicht lügen, nur um das Gesicht zu wahren«, schnurrte er.
Alarichs Oberkörper war rot und geschwollen. Ein Brandmal in Form eines Blitzes zierte seine Brust und wirkte wie eingeätzt. Das Fleisch an dieser Stelle schien versengt und tot. Iridium bemerkte, dass das Mal zu stilisiert war, um von einem Lichtblitz zu stammen. Es sah eher wie eines dieser Piktogramme aus, die man in der Umgebung von Kraftwerken als Warnung vor Hochspannung fand.
»Und das soll mich davon überzeugen, dass du einen Zusammenstoß mit einem Ordnungshüter hattest?«
»Na ja«, erwiderte Alarich. »Ich habe mir dieses Symbol wohl kaum selbst eingebrannt. Hier unten haben wir es nicht so mit Licht und Hitze.« Seufzend fuhr er sich mit einer Hand durch sein fettiges Haar. »Ich befand mich an einem Zugangspunkt zum Rattennetzwerk und ging meinen Geschäften nach. Auf einmal schwebte einer von diesen Typen ein, ganz in Schwarz gekleidet. Er hat mich und meine Untergebenen tätlich angegriffen. Dann rief er mir eine Warnung zu und verschwand.«
»Was für eine Warnung?«, fragte Iridium. »Ihr Undergoths seid ja nun nicht gerade die Genies unter den Verbrechern. Soll keine Beleidigung sein.«
Alarich lachte leise. Es klang wie heißer Dampf, der auf Haut trifft. »Ich gebe nur Informationen weiter und warte ab, ob uns Hilfe zuteilwird.«
»Lass mich raten. Ihr Jungs habt einfach die Nase voll davon, immer nur die Lampenhalter für die Straßengangs zu spielen, und wollt jetzt selbst ein Stück vom Kuchen abhaben. Ich bewundere euren Unternehmergeist, ehrlich. Aber wenn es euch überrascht, dass ihr die Aufmerksamkeit eines Ordnungshüters erregt habt, dann solltet ihr euch auf viele weitere Überraschungen gefasst machen. Und die werden verdammt viel unangenehmer
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