Projekt Ikarus 02 - Im Zwielicht
rasen. Der Brewer-Clan schreit. Mrs Brewer betet laut, und Julie sagt Garth, er soll dahin sehen, ja dahin, also sieht Garth dahin.
Von der liegenden Tür rappelt sich ein dünner Mann in Blau hoch. Er sieht arg mitgenommen aus, schlimmer als die Tür selbst. Ein zitterndes Bündel aus Gliedmaßen und zerrissenen Klamotten, die beinahe modisch schick wirken. Er ignoriert Garth und die anderen. Stattdessen starrt er auf den leeren Türrahmen, und sein Mund öffnet sich zu einem Schrei.
Ein unerträgliches Geräusch, die Sorte, die einem sämtliche Knochen im Leibe klappern lässt. Garth hält sich die Ohren zu und duckt sich, so tief er kann, versucht verzweifelt, einen klaren Gedanken zu fassen. Er blinzelt die Tränen weg und riskiert einen Blick. Soeben tritt ein großer, schlanker Mann in grauen Gefängnisklamotten durch die Reste seiner Eingangstür, vor sich einen Schutzschild aus Licht. Der Mann ruft etwas, das Garth nicht hören kann, und von hinten schleicht ein schmächtiger Typ mit beginnender Glatze an ihm vorbei in den Raum. Der wieselartige Mann streckt eine Hand nach vorn, und der Schreihals schlingt die Arme um seinen Kopf.
Screamer, wird Garth klar. Der Kerl in Blau ist Screamer, ehemals Mitglied der Schwadron, jetzt ein Abtrünniger.
Der Lärm legt sich. In Garths Ohren dröhnt der Nachhall. Screamer ist auf die Knie gesunken. Er sabbert und weint und zittert. Das Wiesel steht über ihm, einen hämischen Ausdruck auf dem schmalen Gesicht. Der Typ erinnert Garth an jeden einzelnen Serienmörder, den er jemals in einem Horrorfilm gesehen hat.
»Das reicht«, sagt der große Mann entschieden. »Leg ihm jetzt einfach die Handschellen an. Kein Grund, eine große Show daraus zu machen.«
Garth kennt diese Stimme – kultiviert, britischer Akzent, befehlsgewohnt durch und durch. Er hat sie schon in Interviews gehört und in den Nachrichten. Er muss an den Lichtschild denken und zählt eins und eins zusammen.
Arclight ist aus dem Blackbird-Gefängnis ausgebrochen und steht direkt hier, in seiner Wohnung.
»Nur noch eine Minute«, bettelt das Wiesel. »Er schmeckt so gut.«
»Radar«, sagt Arclight mit seiner Filmstar-Stimme. »Muss ich mich wirklich wiederholen?«
Der schmächtige Typ leckt sich einmal über die Lippen, zweimal. Dann langt er in seine Gürteltasche und holt ein Paar Betäubungshandschellen hervor. Screamer ist viel zu sehr mit seinem jämmerlichen Geheule beschäftigt, um überhaupt zu realisieren, dass er festgenommen ist.
Ich möchte kotzen, denkt Garth. Dann kommt er hoch und stellt sich aufrecht hin. »Hey, ihr da!«, sagt er, und seine Stimme bricht nicht mal. »Ihr könnt nicht einfach so in anderer Leute Wohnung platzen, um eure Kämpfe auszutragen.«
Arclight wendet sich ihm zu, den Mund zu einem amüsierten Lächeln verzogen. »Scheint so, als hätten wir das bereits getan.«
»Angst«, wispert Radar summend. »So, so köstlich.«
Und postwendend fängt Garth an, sich wirklich zu fürchten. Verdammt. Aber das hält ihn nicht auf. »Hier sind Kinder«, sagt er leise.
Arclight zieht die Augenbrauen hoch. Dann schießen seine Blicke im Zimmer umher wie Pfeile. Schließlich bleiben sie an den Jungs der Brewers hängen, die ängstlich zusammengekauert unter dem Esstisch hocken und sich verzweifelt aneinanderklammern. Etwas Weiches tritt in Arclights Gesichtszüge. Doch als er wieder spricht, ist seine Stimme knallhart.
»Schaff Screamer nach draußen«, befiehlt er. »Protean kommt vermutlich mit Angle klar, aber vielleicht kann er trotzdem Hilfe brauchen.«
Radar grinst, und Garth muss wieder an das Böse denken, das die unterschiedlichsten Gestalten annimmt, um Lebewesen jeglicher Art zu töten. Sehr langsam. Und sehr qualvoll. Der schmächtige Typ führt Screamer aus der Wohnung und summt dabei ein englisches Kinderlied. Arclight betrachtet noch einen Moment lang die beiden Jungs der Brewers. Dann lässt er seinen Blick schweifen, zuerst über ihre Eltern, dann über Julie, die atemlos in der Küchentür steht. Er schaut Mrs Summers an, die hinter Garths Rücken hervorlugt. Schließlich heftet er seinen Blick auf Garth.
»Ich bitte um Entschuldigung für das Durcheinander«, sagt Arclight. »Wären die Zeiten andere, würde ich Ihnen die Kontaktdaten der Schwadron geben, Abteilung Schadenersatz.«
»Wären die Zeiten andere«, erwidert Garth langsam, »säßen Sie, glaube ich, immer noch in Blackbird, und Screamer wäre immer noch ein Held.«
In Arclights Lächeln
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