Projekt Ikarus 02 - Im Zwielicht
gefällt, schlage ich vor, du ertränkst deinen Kummer in einem großen Bier und lässt mich in Ruhe.«
Gordon drohte ihr mit dem Zeigefinger. »Du solltest mal darüber nachdenken, was dir da alles so aus dem Mund schlüpft, Calista.«
»Nenn mich noch einmal so, und ich stopfe dir deine Pistole ins Maul.«
»Fein.« Er steckte die Waffe weg, rückte seinen Schlips zurecht und zupfte seine Manschetten in Form. »Aber ich meine das wirklich ernst. Du solltest wirklich mal nachdenken, anstatt dieses wunderbare Gehirn, das Gott dir gegeben hat, für kernige Retourkutschen und markige Flüche zu missbrauchen.«
Zu Iridiums Füßen versuchte der Taschendieb, sich hochzurappeln und zu fliehen. Sie trat ihm auf die Hand. Jammernd sackte er wieder in sich zusammen.
»Nachdenken worüber?«, brachte sie heraus, obwohl der Drang, Gordon eine Strobokugel entgegenzuschleudern, fast übermächtig war. So musste es Jet tagtäglich ergehen, so musste es für sie gewesen sein, als sie beinahe Taser getötet hatte.
»Diese Welt wird nicht ewig brennen«, erwiderte er. »Corp steht in Verhandlungen mit Indien, damit sie ihre Außermenschlichen schicken, um das Chaos zu beseitigen, das ihr hier angerichtet habt.«
Überrascht zog Iridium die Augenbrauen hoch. Die Schwadron Indien gab es genau wie die Schwadron Amerika nur dem Namen nach. Die indische Schwadron wurde vom Staat bezahlt und diente den Menschen. Sie begab sich nicht in internationale Kampfeinsätze. Sie waren genauso neutral wie die Schweiz, und die Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada waren ein Kriegsgebiet, das sehr weit außerhalb ihrer Gerichtsbarkeit lag.
»Wenn sie eintreffen«, fuhr Gordon fort, »werden sich Ordnung und Gleichgewicht wieder einpendeln. Wo wirst du dann sein? Wirst du eine Kriminelle sein und den Rest deiner Tage auf der Flucht verbringen, zusammen mit deinem armen, geliebten Vater? Oder wird man dich mit offenen Armen wieder bei der Schwadron empfangen, die verlorene Tochter, die ins Licht zurückkehrt?«
»Die Schwadron Indien wird euch nicht helfen«, sagte Iridium aus einem Reflex heraus. »Sie nehmen keine Befehle von Corp entgegen.«
»Und doch erhalten sie die Hälfte ihrer Finanzmittel von Corp.« Gordon lächelte wie eine Eidechse, die prüft, ob die Luft rein ist. »Ich glaube, sie werden in diesem Fall ihre Position der Neutralität in internationalen Angelegenheiten vielleicht überdenken. Und dann steht die Frage immer noch im Raum – wo wirst du sein?«
Iridium blickte Gordon direkt in die seelenlosen Augen, in ihr fast weißes Grau. Leichenaugen. Und im Bruchteil einer Sekunde, als würde ein glockenheller Ton erklingen, wurde es ihr klar: Corp durfte niemals wieder richtig Fuß fassen in Amerika.
Ihr Leben und Lesters und sogar Jets hingen davon ab. Sollte Corp jemals wieder an die Macht gelangen, dann war jeder Außermenschliche, der sich ihrem Zugriff entzogen und die Leichen aus ihrem Keller gezerrt hatte, so gut wie tot.
Wenn die indische Schwadron auf amerikanischem Boden landete, mussten sie ihnen einen unwiderlegbaren Grund liefern, jene Männer und Frauen in Gewahrsam zu nehmen, die dafür verantwortlich waren, dass Abtrünnige die Stadt in Schutt und Asche legten. Männer wie Gordon.
Und um das zu tun, würden sie Beweise brauchen. Und zwar von jemandem, der ein enger Mitarbeiter von Corp war.
»Nun?« Gordon blickte sie finster an.
Iridium zog den Taschendieb auf die Füße. Gerade kamen zwei Gleiter auf Patrouille um die Ecke geflogen. Sie winkte sie herbei, um ihnen den Gefangenen zu übergeben.
»Ich werde dort sein, wo ich hingehöre.« Gordon lächelte wieder. »Gutes Mädchen.« Iridium erwiderte das Lächeln mit einem Gefühl, als würde es auf ihren Lippen gefrieren. »Ich versuche mein Bestes, Sir.«
KAPITEL 12
JET
Aaron ist überzeugt, dass es ohne den Einsatz zusätzlicher Kontrollmechanismen nur ein bis vier Jahre dauert, bis die Konditionierung der Außermenschlichen zusammenbricht. Ich glaube, diese Schätzung ist zu konservativ.
- Aus dem Tagebuch von Martin Moore, Eintrag Nr. 51
»Hör auf damit«, sagte Jet zum dritten Mal. Nocturne wehrte sich gegen die Betäubungshandschellen und versuchte, ihr Kinn in Jets Gesicht zu rammen. Die Frau in Lila traf jedoch nicht. Sie verlor das Gleichgewicht, stürzte zu Boden und landete unsanft im Rinnstein. Vermutlich war sie es so sehr gewohnt, mittels Phasenverschiebung feste Objekte zu durchdringen, dass sie verlernt
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